Geradezu zwangsläufig, dass das ägyptische Fieber auch auf Schreiber und Filmer des Phantastischen übersprang. Ein Genre, das mehr zu bieten hat als gut verschnürte Mumien.
Ganze Zimmer ließen sich tapezieren mit den Postern der Universal Studios, auf denen sich die Bande von Unholden des klassischen Horrorfilms versammelt: Frankenstein(s Ungeheuer), Dracula, der Wolfsmann, der Unsichtbare und natürlich die Mumie.
Ihre Gemeinsamkeit besteht darin, dass sie genauso legendär wie umsatzträchtig waren. Erhebliche Unterschiede tun sich dafür im Stammbaum auf. Gibt es für Frankenstein, Dracula oder den Unsichtbaren den autoritativen Urtext, den stilbildenden Roman, lässt sich für den Wolfsmann, den Werwolf, höchstens eine Menge Folklore ausfindig machen. Wieder anders verhält es sich mit der Mumie. Hier stand zwar kein einzelnes Werk, dafür aber ein ganzer Strom von Literatur Pate, die sich Ägypten als Schauplatz ausgeguckt hatte. Und dieser Strom entspringt weit, weit in der Vergangenheit – wobei er sich von vornherein betont fantastisch und okkult darbietet.
Wie bereits im ersten Teil erwähnt, waren schon im Alten Ägypten Geschichten über Zauberer mächtig en vogue, womit sich ein Traditions-strang herausbildete, der bis zu Goethes “Zauberlehrling” reicht.
Im 2. Buch Mose wird von den zehn Plagen berichtet, die über Ägypten hereinbrechen, als Pharao sich weigert, die Juden in die Freiheit zu entlassen. Das Wasser des Nils verwandelt sich zu Blut, Frosch-, Stechmücken- und Heuschreckenplagen peitschen das Land, am Ende rafft es die Erstgeborenen dahin. Unübersehbar, wie hier ein Fundament für den modernen Öko- und Tierhorror gelegt wurde.
Die Beschreibung dieser Plagen dürfte ursprünglich von den Ägyptern selber stammen, da sie typisch sind für die Risiken des Lebens an einem großen Strom. Eine Rotalgenpest ist tatsächlich in der Lage, das Wasser blutrot zu färben, Mücken und anderes Getier gedeihen in den feuchten Uferniederungen besonders gut. Erstgeborenen Kindern standen die größten Mahlzeiten zu – fatal, wenn sich im feuchten Biotop eine Epidemie giftiger Schimmelpilze ausgebreitet hatte, die auch das Getreide nicht verschonte.
Der antike Schriftsteller Apuleius schildert in seinem Roman “Der goldene Esel”, wie der Ich-Erzähler Lucius durch ein Missgeschick in einen Esel verwandelt wurde. Erst durch Intervention der ägyptischen Göttin Isis erlangt er seine menschliche Gestalt zurück. Zum Dank wird er in Rom Priester des Kults der Isis und ihres Göttergatten Osiris.
Ägyptologisch bildete das Mittelalter – von den biblischen Erzählungen abgesehen – eine ziemliche Durststrecke. Doch seit der Renaissance fand man wieder Zugang zu den antiken Geschichtsschreibungen und Reise-berichten. Ägypten rückte näher.
So nah, dass der Kleopatra-stoff seit Beginn der Neuzeit x-mal aufgegriffen wurde, besonders prominent in Shakespeares „Antonius und Kleopatra“.
Auch die bildende Kunst begann, aufmerksam zu werden. Beispielsweise hatte der flämische Barockmaler Peter Paul Rubens nicht nur eine Schwäche für weibliche Modelle in gutem Ernäh-rungszustand, sondern auch für makabre Sujets. Links im Bild sein Portrait einer Mumie.
Im Sethosroman des Abbé Jean Terrasson aus dem Jahr 1731 ging es zwar nicht übernatürlich zu, doch spiegelte das Bild des Alten Ägypten als Heimstatt der Weisen und Gelehrten ein Utopia, das mit der Wirklichkeit eher wenig gemein hatte. Die Geschichte der verschiedenen Einweihungsprozeduren des Prinzen Sethos inspirierte nicht nur die Freimaurer, sondern auch die Afrozentristen. Die erkannten darin die Bestätigung für die uralte, überlegene Weisheit der (ihrer Meinung nach schwarzen) ägyptischen Zivilisation.
Im Jahr 1827 begann die britische Schriftstellerin Jane Webb, die später eher für ihre Bücher zu Botanik und Gartenbau bekannt wurde, ihr dreibändiges Werk „The Mummy!“ herauszugeben. Die Handlung spielt im Jahr 2126, als es Wissenschaftlern gelingt, mithilfe galvanischer Batterien die Mumie des Pharaos Cheops wiederzubeleben – der neun Jahre vorher erschienene Frankenstein von Mary Shelley lässt herzlich grüßen. Einerseits kann der Text ohne Wenn und Aber als Science Fiction gelesen werden, in dem unter anderem TV und Flugreisen vorweg genommen werden. Andererseits handelt es sich beim revitalisierten Cheops keineswegs um eine Horrorfigur, sondern um eine eher väterliche Gestalt, die vom Gipfel jahrtausendalter Weisheit herab den neuzeitlichen Briten den einen oder anderen freundlichen Rat zukommen lässt. Vielleicht ist das Werk am ehesten als eine Art Gelenk zu begreifen. Hochgestimmt und pädagogisch intendiert wie der Sethosroman, bringt die Story einer wiedererweckten Mumie die Autoren späterer Generationen auf ganz andere Ideen.
Mit der französischen Ägyptenexpedition unter Napoleon wuchsen archäologisches Interesse und Wissen sprunghaft an. Dies führte dazu, dass das Pharaonenreich immer authentischer visualisiert wurde. Dazu regt der britische Film- und Filmmusikexperte David Huckvale an, die Darstellungen der biblischen Szene, in der Jakob die Träume des Pharaos deutet, aus verschiedenen Epochen zu vergleichen.

Vor allem wohl dieser neuen Welle der Ägyptomanie ist es geschuldet, dass der französische Dichter Théophile Gautier das Land am Nil mehrmals als Schauplatz seiner teilweise ziemlich schwül-dekadenten Werke auserkor. Eher launig geht es in der kurzen Erzählung „Der Mumienfuß“ (1840) zu. Ein junger Mann erwirbt in einem Trödelladen den zierlichen Fuß einer ägyptischen Mumie. Auf seinem Zimmer beginnen ihm die Mumifika-tionsdämpfe, die seinem neuen Souvenir entströmen, den Geist zu vernebeln, weshalb er sich aufs Bett wirft. In diesem Moment hüpft eine hübsche, junge Prinzessin auf einem Bein ins Zimmer und nimmt erleichtert den Fuß an sich, um ihn wieder an seinem Stammplatz zu befestigen. Zum Dank nimmt sie den Vorbesitzer mit in ihr Land und ihre Zeit. Dort bittet sie Vater Pharao um die Zustimmung zur Heirat. Der aber lehnt ab. Denn was könne aus der Verbindung eines siebenundzwanzig-jährigen Jungspunds mit einer dreitausend Jahre alten Prinzessin schon herauskommen? Natürlich alles nur geträumt…
In der Folgezeit übernahm Großbritannien die Führungsrolle innerhalb der Ägyptenliteratur, die in dieser landsmännischen Ausprägung eine deutliche Schlagseite zum Unheimlichen und Reißerischen hin zeitigte. Was nicht weiter verwundert, da das Empire ohnehin zu den Hauptnationen litera-rischer Phantastik gehörte und dazu als Kolonialmacht besonders enge Beziehungen zu dieser Weltecke pflegte.
Eines der frühesten Beispiele für einen Mumienfluch bietet die Kurz-geschichte „Lost in a Pyramid“ (auch bekannt als „The Mummy‘s Curse“) von Louisa May Alcott aus dem Jahr 1869. Während einer Ägyptenexpe-dition wird in Ermangelung anderweitigen Brennmaterials ein hölzerner Sarkophag samt Mumie verfeuert. Im Nachhinein stellt sich heraus, dass es sich um die sterblichen Überreste einer mächtigen Zauberin handelte. Einer der Expeditionsteilnehmer überbringt seiner jungen Braut ein paar Samen, die er im Sarkophag gefunden hatte. Daraus zieht die Verlobte eine weiße exotische Blume auf, die eine höchst ungute Wirkung ausübt und die junge Frau am Ende in lebenslanges Koma fallen lässt. Die Story stammt aus den USA, entfaltete die größte Resonanz aber auf der britischen Insel.
Hier kam eine perfekte Welle des Ägyptenhorrors ins Rollen. Es wird geschätzt, das zwischen 1860 und 1914 mehr als hundert Stories zu diesem Thema das Licht der Welt erblickten. Nicht wenigen dieser Texte haftet der wahrscheinlich unsympathischste Aspekt der Literaturgattung an: Furcht und Abscheu vor dem Fremden, wie es sich in der Exotik ägyptischer Kultur manifestiert.
Als Beispiel kann ein Roman von Sax Rohmer (unter anderem geistiger Vater des Dr. Fu-Manchu) herhalten: „Brood of the Witch-Queen“ aus dem Jahr 1918. Im Mittelpunkt steht der schurkische Antony Ferrara, Adoptiv-sohn eines berühmten Ägyptologen und schwarzer Magier in der Tradition altägyptischer Zauberer – und wie sich am Ende herausstellt, selbst eine wiederbelebte Mumie. Rohmer beschreibt ihn als auf abstoßende Weise attraktiv – was immer man sich darunter vorzustellen hat.
Ekeltechnisch geht die Geschichte in die Vollen. Nicht nur, dass Insekten- und Spinneninvasionen einen vielbeinigen running gag liefern. Prominent auch der Gestank, der von einem magischen Weihrauch ausgeht. Das Alte Ägypten kann ganz schön auf den Magen schlagen.
Sehr insektoid ging es schon in der Story „The Beetle“ von Richard Marsh aus dem Jahr 1897 zu. Ein formwandelndes Wesen aus dem Alten Ägypten, das gern hellhäutige europäische Frauen opfert, betreibt im modernen London mal als Araber, mal als Riesenkäfer seine finsteren Geschäfte. Auf der Seite der Guten steht unter anderem ein junges, hoffnungsvolles Talent auf dem Gebiet der Entwicklung chemischer Kampfstoffe. Ufff!
Würden solche Storys genauso stark wirken, wenn es sich bei Ägypten einfach nur um einen miesen, hässlichen Ort wie Mordor handelte? Wohl kaum. Pracht und Flair der alten Hochkultur erzeugen erst in Zusammen-spiel mit Gefahr und Fremdartigkeit diesen differenzierten Mix wider-sprüchlicher Empfindungen. Abstoßend attraktiv: Irgendwie scheint es zu funktionieren.
Erwähnenswert, dass „The Beetle“ im Rennen um die höchsten Verkaufs-zahlen anfangs die Nase vorn hatte vor dem zeitgleich erschienenen „Dracula“ von Bram Stoker. Übrigens hat Stoker selbst sein Scherflein zur ägyptischen Phantastik beigetragen – mit der Erzählung „The Jewel of Seven Stars“, deutsch „Die sieben Finger des Todes“. 1903 erstmals erschienen, wurde ihr 1912 eine inhaltlich veränderte Version nach-geschoben.
Die Handlung dreht sich um die zaubermächtige Königin Tera, deren Mumie und Sarkophag im Londoner Haus eines berühmten Ägypten-forschers aufbewahrt werden. Rätselhafte Vorfälle verdichten sich zum Verdacht, dass Tera – vor Jahrtausenden geplant – im Begriff ist, ins Leben zurückzukehren. Dabei handelt es sich durchaus um keine Geschichte einer romantischen Liebe, die die Abgründe der Zeit überdauert, sondern um den nackten Lebenswillen einer mächtigen Zauberin. In der ersten Version kommt es zur Katastrophe, während die überarbeitete Fassung in ein etwas doppelbödiges Happy End mündet. Die Geschichte kann einen gewissen Rang für sich reklamieren. Immerhin wurde sie mindestens viermal verfilmt.
Berühmt wurde Arthur Conan Doyle (1859-1930) vor allem für seine literarische Figur des Sherlock Holmes. Nun kann der super-analytische Meisterdetektiv wohl kaum als Alter Ego des Autors gelten. Der hatte vom gelernten Beruf als Arzt und vom Äußerlichen her (jedenfalls von vielen Verfilmungen aus gesehen) wesentlich stärkere Ähnlichkeit zu Dr. Watson. Vor allem scheint er im wirklichen Leben einen ausgesprochen leichtgläubigen Zeitgenossen abgegeben zu haben, der sich sogar mit retuschierten Fotos tanzender Mini-Elfen hereinlegen ließ – wie er auch sonst einen ausgeprägten Hang zum Okkulten pflegte. Als Autor des Phantastischen aber gehörte er unangefochten zur Spitze. Nicht nur Sherlock Holmes entstammte seiner Feder, sondern auch der Roman „Die vergessene Welt“ aus dem Jahr 1912. Die Geschichte eines südameri-kanischen Hochplateaus, auf dem bis auf den heutigen Tag Dinosaurier überlebten, schuf eine Tradition, die über „King Kong“ von Edgar Wallace bis hin zum Blockbuster „Jurassic Park“ ausgreift.
Und natürlich blieb auch Ägypten nicht unter seinem Radar. Als besonders einflussreich erwies sich die Kurzgeschichte „The Ring of Thoth“ von 1890. In der ägyptischen Abteilung des Louvre wird ein Student der Ägyptologie von plötzlicher Schläfrigkeit übermannt und wacht erst wieder auf, als das Museum längst geschlossen ist. Bei seinem Gang durch die nächtlichen Ausstellungsräume beobachtet er einen Fremden, der eigenartige Rituale an einer Mumie vollführt. Der seltsame Besucher offenbart seine Geschichte. Er stammt aus dem Alten Ägypten, wo er vor 3.500 Jahren eine Medizin entdeckt hatte, die ihm ewiges Leben gewährt. Da seine Geliebte aber längst tot ist und seine Unsterblichkeit die Vereinigung im Jenseits unmöglich macht, befindet er sich auf der Suche nach einem Gegenmittel. Bei der Mumie handelt es sich um seine große Liebe, die das gesuchte Elixier in einem Ring bei sich trägt… Hoch anzurechnen ist dieser Story allemal, dass sie auf plakative Fremdenfurcht verzichtet und stattdessen einen anrührenden düster-romantischen Faden spinnt.
Wir bewegen uns in der Ära, in der Filmpionier Georges Méliès begann, den Photos publikumsgerecht Beine zu machen. Und schon in dieser kinematographischen Schöpfungszeit meldete der Ägyptenhorror – wenn auch zunächst in ziemlich verspielter Form – seine Rechte an. 1903 kurbelte Méliès den Zwei-Minuten-Streifen „Le Monstre“ ab, in dem sich vor der Kulisse einer imposanten Sphinx ein ägyptischer Zauberer abmüht, eine tote Prinzessin zum Leben zu erwecken. Nach ein paar Tanzschritt-chen kollabiert die Gute allerdings wieder zu einem leblosen Skelett.
Seitdem ist Ägypten aus dem Zelluloiduniversum nicht mehr wegzudenken. Matthew Coniam kommt in seiner Filmographie zur Ägyptomanie bis 2015 auf ca. 200 Titel, wobei es sich allermeist um Storys aus dem Bereich des Phantastischen handelt. Verständlich, dass sich dieser Überblick mit einigen Highlights begnügen muss.
Konsequenterweise war es das Vereinigte Königreich, Wahlheimat des Ägyptenhorrors, wo die ersten echten unheimlichen Spielfilme zum Thema produziert wurden: 1912 der Kurzfilm The Vengeance of Egypt, in dem es um einen fluchbeladenen Ring geht, der einer Mumie entwendet wurde. 1915 dann in Stundenlänge The Avenging Hand, in der sich der Geist einer ägyptischen Prinzessin in London auf die Suche nach ihrer Hand begibt, die mittlerweile ein selbstbestimmtes und mörderisches Eigenleben führt. Es darf vermutet werden, dass sowohl Stokers „Die sieben Finger des Todes“, in der unter anderem auch um eine abgetrennte Hand eine Rolle spielt, als auch Gautiers „Mumienfuß“ beim Plot Pate gestanden haben.
In dieser Zeit erlangte – neben wissenschaftlichem und kreativem Interesse in Literatur, Film und Design – ein dritter Strang der Ägypto-manie immer größere Bedeutung: Das, was ich esoterische Ägyptologie nennen möchte.
Schon im 19. Jahrhundert gab es eine Reihe mathematischer Tüftler, die in den Abmessungen der Pyramiden auf Zahlencodes gestoßen zu sein meinten, die Beziehungen zur Geschichte, biblischer Überlieferung und Astronomie offenbarten. Andere schlossen daraus, dass es sich bei den Erbauern nur um die letzten Überlebenden von Atlantis handeln konnte.
Helena Blavatsky, Begründerin der Theosophie und damit Urmutter der modernen Esoterik, räumte Ägypten und den Pyramiden in ihrer ziemlich psychedelischen Kosmologie großzügig bemessenen Platz ein. Außerdem trug ihre Grundlagenschrift den Titel „Isis entschleiert“ (1877), womit direkt auf eine ägyptische Hauptgöttin Bezug genommen wird.
Das Ganze setzt sich bis in unsere Tage fort: Erich von Däniken beispiels-weise sieht das Alte Ägypten als Hot Spot vorgeschichtlicher außerirdi-scher Besuche an. Andere meinen, auf Fotos der Vikingsonde und des Landemobils Pyramiden auf dem Mars zu erkennen.
Ein besonderer Hype wurde 1922 ausgelöst, als Howard Carter im Tal der Könige das weitgehend intakte Grab des Pharaos Tutanchamun öffnete. Stellte das für sich schon eine archäologische Sensation dar, wurde die Sache noch mysteriöser, als kurz darauf Expeditionsteilnehmer zu sterben begannen. In Windeseile verbreitete sich die Rede vom Fluch der Pharaonen.
In dieser Atmosphäre entschied sich 1932 Carl Laemmle jr., Chef der Universal Studios, den großen Ägyptenhorror zu drehen. Wider Erwarten fand sich keine wirklich geeignete literarische Vorlage, so dass die Drehbuchautoren Richard Schayer und Nina Wilcox Putnam gezwungen waren, ihre kleinen grauen Zellen erheblich in Schwung zu setzen. Fündig wurden sie bei Doyles „Ring of Thot“, der Story eines unsterblichen Ägypters, der sich mit seiner großen Liebe wiederzuvereinen trachtet. Außerdem gab es da noch diesen Schwarzmagier Cagliostro, der im 18. Jahrhundert von sich behauptete, uralt und unsterblich zu sein. Aus diesen Versatzstücken bastelten sie die Geschichte des Priesters Imhotep, dessen Mumie durch einen dummen Zufall wiederbelebt wird.
Für dessen Rolle fiel die Wahl auf den hoch aufgeschossenen Briten William Henry Pratt. Der war ausgebildeter Bühnenschauspieler, mit markanten Gesichtszügen gesegnet und exzentrisch genug, sich den Künstlernamen Boris Karloff zuzulegen. Außerdem hatte er ein Jahr zuvor mit seiner Darstellung des Frankensteinmonsters gigantischen Erfolg eingefahren.
Archäologen finden im Jahr 1921 das Grab des mächtigen Priesters Imhotep. Offenbar wurde er bei lebendigem Leib mumifiziert, was sich nur als extrem schwere Bestrafung erklären ließ. Unglücklicherweise rezitiert einer der Ausgräber im Beisein des Sarkophags mit lauter Stimme aus einer Schriftrolle mit geheimen Beschwörungsformeln. Wie es nicht anders kommen konnte, wird die Mumie zu neuem Leben erweckt.
Von ihren Bandagen befreit, mischt sie sich als orientalischer Antiquitäten-händler Ardath Bey unters Volk. Karloffs Gesichtsmaske mit der ver-schrumpelten, pergamentartigen Haut ist einfach nur genial zu nennen. Vor allem setzt sie nicht auf Schock und Ekel, sondern erweckt einfach nur den Eindruck unermesslichen Alters.
Besonderes Interesse hegt der Wiederbelebte für die Mumie der Prinzessin Anck-es-en-Amun. Wie sich später herausstellt, hatte er zu Lebzeiten ein äußerst verbotenes Verhältnis mit ihr, wofür er schließlich büßen musste.
In Kairo fällt sein Blick auf die junge Helen Grosvenor, die er für die Wiedergeburt seiner Geliebten hält. Zunehmend gerät sie in seinen hypnotischen Bann…
In diesem Film tritt ein Merkmal auf, das zur DNA des Genres zu gehören scheint und von einer Generation zur nächsten weitergeben wird wie die Habsburger Lippe: Die Rückblende. In der wird – mal mehr, mal weniger gelungen – in der Kulisse des Alten Ägypten die Vorgeschichte zur Handlung erzählt.
Imhotep/Ardath Bey ist ein finsterer, rücksichtsloser Charakter, der auch nicht davor zurückschreckt, nette Hunde umzubringen, wenn sie ihm im Weg sind. Und dennoch bildet die Geschichte einer Leidenschaft über die Jahrtausende hinweg einen höchst romantischen Stoff.
Ich vermute, dass sich Francis Ford Coppola für seine Dracula-Verfilmung aus dem Jahr 1992 stark von diesem Motiv hat inspirieren lassen. In Stokers Roman wird der Fürst der Vampire als weitgehend unsentimentaler Machtmensch (oder Machtuntoter?) dargestellt. Bei Coppola ist er vor allem getrieben von der Sehnsucht nach seiner geliebten Elisabeta. Und natürlich wird uns das traurige Ende dieser Liebe in einer Rückblende vorgestellt.
Querverbindungen zwischen Filmen lassen sich aber schon für die 30er Jahre nachweisen. Karloff hat nicht nur die Mumie und Frankensteins Monster gespielt, sondern auch in der äußerst sehenswerten Fortsetzung „Frankensteins Braut“ aus dem Jahr 1935 mitgewirkt.

Nicht nur die Verpackung der Braut lässt darauf schließen, dass sich Ägyptomanisches klammheimlich ins Frankenstein-Universum einge-schlichen hat. Ein weiteres Verdachtsmoment bildet dieses Porträtfoto von Frau Frankenstein in spe…

Eine direkte Fortsetzung gab es nicht, aber ab 1940 produzierten die Universal Studios eine kleine Serie von schwarzweißen Mumienfilmen, die es mit dem Streifen von 1932 künstlerisch nun aber nicht aufnehmen können. Die Mumie selber heißt jetzt Kharis, wobei man trotz dieser Abweichung nicht davor zurückschreckte, Filmmaterial aus dem Karloff-Film wiederzuverwenden. Wie die budgetären Einschränkungen überhaupt unübersehbar sind.
Der Bandagenunhold wurde im ersten Film (The Mummy’s Hand ) von Tom Tyler gespielt, in den Fortsetzungen (The Mummy’s Tomb, The Mummy’s Ghost, The Mummy’s Curse) von Lon Chaney jr.. Im Laufe der Serie wurde die Handlung in die USA verlegt, was der Atmosphäre meiner Meinung nach insgesamt nicht besonders guttat. Wenn sich in Mummy’s Curse frankophone Cajuns aus den Sümpfen auf Mumienjagd begeben, trifft das nicht unbedingt jedermanns Geschmack.
Auf mich selber haben diese Produktionen jedenfalls keinen großen Eindruck gemacht. Mit einer Ausnahme vielleicht: In Mummy‘s Curse (1944) kämpft sich Prinzessin Ananka (gespielt von Virginia Christine) quälend mühsam aus dem schlammigen Sumpf, in dem sie einen Film vorher versunken war. Eine beeindruckende primordiale Urzeugungsszene. Bleibt zu erwähnen, dass das Südstaatensetting und die lebensspendenden Tanablätter in einem wesentlich neueren Film noch eine gewisse Rolle spielen werden.
In den 50ern war es den britischen Hammer Film Productions gelungen, mit Horrorfilmen wie Dracula (selbstredend mit Christopher Lee in der Titelrolle) aus ihrem Nischendasein ins Licht der breiten Öffentlichkeit zu treten. Und so entschloss man sich, auch im Mumienhorror eigene Akzente zu setzen. Da das Vereinigte Königreich ohnehin so etwas wie das Mutterland der ägyptischen Phantastik darstellt, ließe sich fast sagen: Mummy‘s coming home.
Und so erblickte 1959 der Farbfilm „The Mummy“ (deutsch „Die Rache der Pharaonen“) das schummrige Licht der Kinowelt. Zum gleichnamigen Karloff-Film aus den 30ern bestanden kaum Beziehungen, dafür hielt man sich sehr akkurat an den Plot der Sequels aus den 40ern. Wieder geht es um die Mumie Kharis und Prinzessin Ananka. Und natürlich darf ein zwielichtiger orientalischer Wiederbelebungsfanatiker nicht fehlen.
Zum größten Minus zählt für mich, dass im Film extrem langatmig und pathetisch deklamiert wird, etwa so: „Du großer Gott Karnak, Vater aller lebendigen Dinge, höre auf die demütigen Worte des Unwürdigsten deiner Sklaven. Für diese schreckliche Entweihung gelobe ich dir Genugtuung. Die Ungläubigen, welche die Ruhe deiner Priesterin grausam zu stören wagten, …“ und so weiter und so fort.
Ein absolutes Plus aber stellt die Musik mit ihrem gänsehautaffinen Hauptmotiv dar. Und als Sahnehäubchen gibt sich eines der produktivsten (platonischen) Paare der Filmgeschichte die Ehre: Peter Cushing und Christopher Lee. Darin übernimmt Lee den Part der komplett bandagierten Mumie, der zur Entfaltung mimischen Talents nur ein schmaler Sehschlitz zugebilligt wurde. Mit diesen eingeschränkten Mitteln den Ausdruck animalischer Destruktivität zu erzeugen, gelingt Lee aufs Bravouröseste. Wobei ihm seine hünenhafte Gestalt sehr zupass kommt.
An dieser Stelle ein kurzer Exkurs zum Thema Mumifikation. Einer Theorie nach ist der Brauch folgendermaßen entstanden: Die Ägypter waren abgeneigt, ihre Toten im schmalen, fruchtbaren Teil des Landes nahe des Nils zu bestatten. Überschwemmungen hätten die Gräber freilegen können, was für die Toten entwürdigend und für die Lebenden kein schöner Anblick gewesen wäre. Daher wählten sie die Wüste als letzte Ruhestätte. Als dort die bemerkenswerten konservierenden Eigenschaften der extremen Trockenheit offenbar wurden, kamen die Ägypter auf die Idee, dem Prozess weiter nachzuhelfen, und so entwickelten sie über die Jahrhunderte hinweg immer raffiniertere Methoden der Erhaltung.
Die alten Ägypter waren weiß Gott nicht die Allergrößten. Außerdem dürften die Jahrtausende der Konservierung von einem Schrumpfungs-prozess begleitet worden sein. Daher rufen Mumien vor allem den Eindruck von Winzigkeit und Fragilität hervor. Eine eher traurige Angelegenheit, wie ein Ägyptologe kommentiert. Lees Berserkermumie sollte also am besten unter der Rubrik dichterische Freiheit eingeordnet werden.
Nun sah Hammer Films die Zeit gekommen, sich an die echten Klassiker der ägyptischen Phantastik heranzuwagen. Die Wahl fiel auf Bram Stokers „Jewel of Seven Stars“. Abgedreht wurde der Streifen 1971 unter dem Titel „Das Grab der blutigen Mumie“ (Blood from the Mummy’s Tomb). Allerdings entwickelten sich die Dreharbeiten zum Debakel, das einem bösen Omen gleich seinen Schatten über die Firma warf. Für die Rolle des Ägypten-forschers Fuchs war Peter Cushing vorgesehen, der aber nach dem ersten Drehtag zurücktreten musste, nachdem seine Frau schwer erkrankte und kurz darauf starb. Genauso plötzlich erlag Regisseur Seth Holt mitten in den Dreharbeiten einem Herzinfarkt. Wie sich herausstellte, existierte das Drehbuch nicht auf Papier, sondern vor allem in Holts Gehirn.
Das mag dazu beigetragen haben, dass die Handlung etwas holperig und nicht sonderlich stringent wirkt. Wie sich die Produktion auch insgesamt im Vergleich zur literarischen Vorlage viele Freiheiten nimmt. Wenn nun nicht gerade ein Kunstwerk, bietet der Film trotzdem einige atmosphä-rische Momente. Was aber offenbar nicht mehr ausreichend war. Auf Dauer hatte plüschiger viktorianischer Charme keine Chance gegen den neuen, ultrabrutalen US-amerikanischen Horror à la „Exorzist“. 1979 meldete Hammer Konkurs an.
Bereits ein Jahr vor Mummy’s Tomb war der Stoff fürs britische Fernsehen verarbeitet worden. Vier Jahre lang (1966-1970) wurden in der Serie „Mystery and Imagination“ insgesamt über zwanzig Storys bekannter Autoren des Unheimlichen fürs TV adaptiert – zuletzt Stokers „Jewel of Seven Stars“ unter dem Titel „The Curse of the Mummy“. Auch wenn die ägyptische Rückblende nicht fehlen durfte, wirkt das Ganze ziemlich kammerspielmäßig, womit der Originalerzählung durchaus Genüge getan wurde.
1980 wurde der Stoff abermals fürs Kino verfilmt. Zwar handelt es sich beim „Erwachen der Sphinx“ (The Awakening) nominell um eine britische Produktion, doch waren in Person von Charlton Heston und Stephanie Zimbalist die Hauptrollen mit amerikanischen Mimen besetzt. Die Kritiken fielen durchwachsen aus. Heston hielt man vor, keinen authentisch britischen Akzent zuwege zu bringen, und Zimbalist galt schlicht als zu nett, um der ägyptischen Herrscherin (die jetzt Kara anstatt Tera hieß) die nötige Diabolik zu verleihen. Das Erfinden neuer Handlungsstränge nahm man auf die leichte Schulter, einige Figuren wurden in ihren Rollen ver-tauscht wie bei einer Schachrochade. Insgesamt keine cineastische Sternstunde, aber immer noch unterhaltend und abendfüllend genug. Lobend zu ergänzen, dass der ägyptische Part ganz überwiegend an Originalschauplätzen gedreht wurde.
Eine weitere Version stammt aus dem Jahr 1998 und war für den direkten Konsum via Video und DVD – ohne Umweg über die Kinos – gedacht. Produktionen dieser Art genießen nicht gerade höchstes Ansehen. „Legend of the Mummy“ scheint diese Vorurteile im vollen Umfang zu bestätigen. Die Bewertung auf dem Filmportal IMDB liegt bei 2,9 (von zehn möglichen) Punkten. Womit alles Wesentliche gesagt sein dürfte.
Um ein Entertainmentereignis ganz anderen Kalibers handelt es sich bei der „Mumie“ aus dem Folgejahr. Mit Stoker hat der Film nichts zu schaffen, dafür lehnt er sich vage an Karloffs Mumie an. Dem Projekt stand ein Budget von 80 Millionen Dollar zur Verfügung, das zu einem nicht geringen Teil in computergestützte Tricktechnik gesteckt wurde. Tatsächlich sind die Effekte durchaus spektakulär – trotzdem muss ich gestehen, dass ich mit dem Streifen herzlich wenig anfangen kann.
Sehr unangenehm fällt auf, mit welcher Bedenkenlosigkeit dargestellt wird, wie gegnerische Araber zu Dutzenden niedergeballert oder über den Haufen gebrettert werden. Nun gibt sich der Film nicht nur antiarabisch, sondern auch antiägyptisch. Wenn unseren europäisch-amerikanischen Helden Heere von halbverwesten Mumienzombies und Fantastillionen von Käfern zusetzen, kann ich darin nichts als den aufgewärmten, allenfalls aufgepimpten „Abstoßend-attraktiv“-Kohl erkennen.
Eine Szene verdient besondere Erwähnung. Als der wetterwendische Halunke Beni mit der Mumie konfrontiert wird, hält er ihr zur Abwehr der Reihe nach Glücksbringer der verschiedenen Weltreligionen unter die Nase, wobei er Beschwörungsformeln in der jeweiligen Sprache haspelt. Beim Davidstern, unterlegt von einer hebräischen Sentenz, wird die Mumie hellhörig. „Ah, die Sprache der Sklaven!“
Spätestens seit dem Monumentalschinken „Die zehn Gebote“ von Cecil B. DeMille aus dem Jahr 1956 dürfte sich in der Öffentlichkeit die Vorstellung festgesetzt haben, dass die Pyramiden von – überwiegend jüdischen – Sklaven erbaut wurden.
Die Archäologie erzählt eine andere Geschichte. In unmittelbarer Nähe zu den Pyramiden stieß man auf sorgfältig nach ägyptischem Ritus angelegte Gräber für Bauleute. Für Sklaven eher ungewöhnlich. Massen an Rinder- und Schafskeletten sprechen dafür, dass die Bauarbeiter ziemlich hochwertig verköstigt wurden. Auch boten die Arbeiterquartiere so wenig Platz, dass ein kurz getaktetes Rotationsverfahren vermutet wird. Nicht zu vergessen, dass Papyrusrollen mit Gehaltslisten gefunden wurden. Da es noch keine Münzen gab, stellten Brot und Bier besonders populäre Währungen dar. Mit einem Wort: Die Pyramiden wurden nicht von Sklaven erbaut, sondern von Kontraktarbeitern und freien Ägyptern in Form kurzfristiger Hand- und Spanndienste.
Wesentlich mehr nach meinem Geschmack ist da das kleine Juwel „Bubba Ho-Tep“ aus dem Jahr 2002. Die Hauptrolle fiel Trash-Ikone Bruce Campbell zu, Regie führte Don Coscarelli. Für den nichts unpassender wäre als die Bezeichnung Fließbandarbeiter. Viel mehr Spaß scheint es ihm zu bereiten, das Publikum ungefähr alle zehn Jahre mit einer kleinen Extra-vaganz zu überraschen. Den Anfang machte „Das Böse“ (Phantasm) aus dem Jahr 1979 (das Ding mit der fliegenden Messerkugel im Mausoleum).
Bei „Bubba Ho-Tep“ ist die Prämisse simpel, der Plot schnell erzählt. Campbell spielt einen geriatrischen Elvis Presley, der einen Imitator spielt, der Elvis Presley spielt. Sein bester Kumpel im texanischen Altersheim ist Präsident J.F. Kennedy, der entgegen der Legende nicht getötet, sondern von L.B. Johnson nach dem Attentat heimtückischerweise zu einem Afroamerikaner umgefärbt und in die Anonymität katapultiert wurde – nachdem sein durch Schüsse ramponiertes Gehirn mit einem kleinen Sandbeutel repariert wurde. So jedenfalls die Version von Mr. President. Verwirrend wird die Angelegenheit, als eine wiederbelebte ägyptische Mumie, die während einer Wanderausstellung bei einem Unfall im nahe gelegenen Fluss landete, sich seelenfressenderweise an den Senioren zu stärken versucht… na gut, lassen wir das.
Wer aber schon immer sehen wollte, wie sich ein deutlich in die Jahre gekommener „King“ ein Duell liefert mit unangenehm überdimensio-nierten Insekten und sich dabei Kampfkünsten bedient, die ich in Ermangelung einer präzisieren Bezeichnung Rollator-Kung-Fu nennen möchte, kommt jedenfalls voll und ganz auf seine Kosten.
Ob es ein perfektes Happy End gibt, verrate ich nicht. Jedenfalls schieben sich am Ende die Sterne am Nachthimmel zu Hieroglyphen zusammen und verkünden: „Alles ist gut!“