Harte Bandagen

Geradezu zwangsläufig, dass das ägyptische Fieber auch auf Schreiber und Filmer des Phantastischen übersprang. Ein Genre, das mehr zu bieten hat als gut verschnürte Mumien.

Ganze Zimmer ließen sich tapezieren mit den Postern der Universal Studios, auf denen sich die Bande von Unholden des klassischen Horrorfilms versammelt: Frankenstein(s Ungeheuer), Dracula, der Wolfsmann, der Unsichtbare und natürlich die Mumie.

Ihre Gemeinsamkeit besteht darin, dass sie genauso legendär wie umsatzträchtig waren. Erhebliche Unterschiede tun sich dafür im Stammbaum auf. Gibt es für Frankenstein, Dracula oder den Unsichtbaren den autoritativen Urtext, den stilbildenden Roman, lässt sich für den Wolfsmann, den Werwolf, höchstens eine Menge Folklore ausfindig machen. Wieder anders verhält es sich mit der Mumie. Hier stand zwar kein einzelnes Werk, dafür aber ein ganzer Strom von Literatur Pate, die sich Ägypten als Schauplatz ausgeguckt hatte. Und dieser Strom entspringt weit, weit in der Vergangenheit – wobei er sich von vornherein betont fantastisch und okkult darbietet.

Wie bereits im ersten Teil erwähnt, waren schon im Alten Ägypten Geschichten über Zauberer mächtig en vogue, womit sich ein Traditions-strang herausbildete, der bis zu Goethes “Zauberlehrling” reicht.

Im 2. Buch Mose wird von den zehn Plagen berichtet, die über Ägypten hereinbrechen, als Pharao sich weigert, die Juden in die Freiheit zu entlassen. Das Wasser des Nils verwandelt sich zu Blut, Frosch-, Stechmücken- und Heuschreckenplagen peitschen das Land, am Ende rafft es die Erstgeborenen dahin. Unübersehbar, wie hier ein Fundament für den modernen Öko- und Tierhorror gelegt wurde.

Die Beschreibung dieser Plagen dürfte ursprünglich von den Ägyptern selber stammen, da sie typisch sind für die Risiken des Lebens an einem großen Strom. Eine Rotalgenpest ist tatsächlich in der Lage, das Wasser blutrot zu färben, Mücken und anderes Getier gedeihen in den feuchten Uferniederungen besonders gut. Erstgeborenen Kindern standen die größten Mahlzeiten zu – fatal, wenn sich im feuchten Biotop eine Epidemie giftiger Schimmelpilze ausgebreitet hatte, die auch das Getreide nicht verschonte.

Der antike Schriftsteller Apuleius schildert in seinem Roman “Der goldene Esel”, wie der Ich-Erzähler Lucius durch ein Missgeschick in einen Esel verwandelt wurde. Erst durch Intervention der ägyptischen Göttin Isis erlangt er seine menschliche Gestalt zurück. Zum Dank wird er in Rom Priester des Kults der Isis und ihres Göttergatten Osiris.

Ägyptologisch bildete das Mittelalter – von den biblischen Erzählungen abgesehen – eine ziemliche Durststrecke. Doch seit der Renaissance fand man wieder Zugang zu den antiken Geschichts­schreibungen und Reise-berichten. Ägypten rückte näher.

Rubens

So nah, dass der Kleopatra-stoff seit Beginn der Neuzeit x-mal aufgegriffen wurde, besonders prominent in Shakespeares „Antonius und Kleopatra“.

Auch die bildende Kunst begann, aufmerksam zu werden. Beispielsweise hatte der flämische Barockmaler Peter Paul Rubens nicht nur eine Schwäche für weibliche Modelle in gutem Ernäh-rungszustand, sondern auch für makabre Sujets. Links im Bild sein Portrait einer Mumie.

Im Sethosroman des Abbé Jean Terrasson aus dem Jahr 1731 ging es zwar nicht übernatürlich zu, doch spiegelte das Bild des Alten Ägypten als Heimstatt der Weisen und Gelehrten ein Utopia, das mit der Wirklichkeit eher wenig gemein hatte. Die Geschichte der verschiedenen Einweihungs­prozeduren des Prinzen Sethos inspirierte nicht nur die Freimaurer, sondern auch die Afrozentristen. Die erkannten darin die Bestätigung für die uralte, überlegene Weisheit der (ihrer Meinung nach schwarzen) ägyptischen Zivilisation.

Im Jahr 1827 begann die britische Schriftstellerin Jane Webb, die später eher für ihre Bücher zu Botanik und Gartenbau bekannt wurde, ihr dreibändiges Werk „The Mummy!“ herauszugeben. Die Handlung spielt im Jahr 2126, als es Wissenschaftlern gelingt, mithilfe galvanischer Batterien die Mumie des Pharaos Cheops wiederzubeleben – der neun Jahre vorher erschienene Frankenstein von Mary Shelley lässt herzlich grüßen. Einerseits kann der Text ohne Wenn und Aber als Science Fiction gelesen werden, in dem unter anderem TV und Flugreisen vorweg genommen werden. Andererseits handelt es sich beim revitalisierten Cheops keineswegs um eine Horrorfigur, sondern um eine eher väterliche Gestalt, die vom Gipfel jahrtausendalter Weisheit herab den neuzeitlichen Briten den einen oder anderen freundlichen Rat zukommen lässt. Vielleicht ist das Werk am ehesten als eine Art Gelenk zu begreifen. Hochgestimmt und pädagogisch intendiert wie der Sethosroman, bringt die Story einer wiedererweckten Mumie die Autoren späterer Generationen auf ganz andere Ideen.

Mit der französischen Ägyptenexpedition unter Napoleon wuchsen archäologisches Interesse und Wissen sprunghaft an. Dies führte dazu, dass das Pharaonenreich immer authentischer visualisiert wurde. Dazu regt der britische Film- und Filmmusikexperte David Huckvale an, die Darstellungen der biblischen Szene, in der Jakob die Träume des Pharaos deutet, aus verschiedenen Epochen zu vergleichen.

Pharao
Links: Nicht getürkt, höchstens lückenhaft informiert – Guercinos Darstellung aus dem 17. Jahrhundert. In Ermangelung detaillierter Kenntnisse schienen die Türken exotisch genug. Rechts dieselbe Szene aus der Feder von Gustave Doré aus dem 19. Jahrhundert.

Vor allem wohl dieser neuen Welle der Ägyptomanie ist es geschuldet, dass der französische Dichter Théophile Gautier das Land am Nil mehrmals als Schauplatz seiner teilweise ziemlich schwül-dekadenten Werke auserkor. Eher launig geht es in der kurzen Erzählung „Der Mumienfuß“ (1840) zu. Ein junger Mann erwirbt in einem Trödelladen den zierlichen Fuß einer ägyptischen Mumie. Auf seinem Zimmer beginnen ihm die Mumifika-tionsdämpfe, die seinem neuen Souvenir entströmen, den Geist zu vernebeln, weshalb er sich aufs Bett wirft. In diesem Moment hüpft eine hübsche, junge Prinzessin auf einem Bein ins Zimmer und nimmt erleichtert den Fuß an sich, um ihn wieder an seinem Stammplatz zu befestigen. Zum Dank nimmt sie den Vorbesitzer mit in ihr Land und ihre Zeit. Dort bittet sie Vater Pharao um die Zustimmung zur Heirat. Der aber lehnt ab. Denn was könne aus der Verbindung eines siebenundzwanzig-jährigen Jungspunds mit einer dreitausend Jahre alten Prinzessin schon herauskommen? Natürlich alles nur geträumt…

In der Folgezeit übernahm Großbritannien die Führungsrolle innerhalb der Ägyptenliteratur, die in dieser landsmännischen Ausprägung eine deutliche Schlagseite zum Unheimlichen und Reißerischen hin zeitigte. Was nicht weiter verwundert, da das Empire ohnehin zu den Hauptnationen litera-rischer Phantastik gehörte und dazu als Kolonialmacht besonders enge Beziehungen zu dieser Weltecke pflegte.

Eines der frühesten Beispiele für einen Mumienfluch bietet die Kurz-geschichte „Lost in a Pyramid“ (auch bekannt als „The Mummy‘s Curse“) von Louisa May Alcott aus dem Jahr 1869. Während einer Ägyptenexpe-dition wird in Ermangelung anderweitigen Brennmaterials ein hölzerner Sarkophag samt Mumie verfeuert. Im Nachhinein stellt sich heraus, dass es sich um die sterblichen Überreste einer mächtigen Zauberin handelte. Einer der Expeditionsteilnehmer überbringt seiner jungen Braut ein paar Samen, die er im Sarkophag gefunden hatte. Daraus zieht die Verlobte eine weiße exotische Blume auf, die eine höchst ungute Wirkung ausübt und die junge Frau am Ende in lebenslanges Koma fallen lässt. Die Story stammt aus den USA, entfaltete die größte Resonanz aber auf der britischen Insel.

Hier kam eine perfekte Welle des Ägyptenhorrors ins Rollen. Es wird geschätzt, das zwischen 1860 und 1914 mehr als hundert Stories zu diesem Thema das Licht der Welt erblickten. Nicht wenigen dieser Texte haftet der wahrscheinlich unsympathischste Aspekt der Literaturgattung an: Furcht und Abscheu vor dem Fremden, wie es sich in der Exotik ägyptischer Kultur manifestiert.

Als Beispiel kann ein Roman von Sax Rohmer (unter anderem geistiger Vater des Dr. Fu-Manchu) herhalten: „Brood of the Witch-Queen“ aus dem Jahr 1918. Im Mittelpunkt steht der schurkische Antony Ferrara, Adoptiv-sohn eines berühmten Ägyptologen und schwarzer Magier in der Tradition altägyptischer Zauberer – und wie sich am Ende herausstellt, selbst eine wiederbelebte Mumie. Rohmer beschreibt ihn als auf abstoßende Weise attraktiv – was immer man sich darunter vorzustellen hat.

Ekeltechnisch geht die Geschichte in die Vollen. Nicht nur, dass Insekten- und Spinneninvasionen einen vielbeinigen running gag liefern. Prominent auch der Gestank, der von einem magischen Weihrauch ausgeht. Das Alte Ägypten kann ganz schön auf den Magen schlagen.

Sehr insektoid ging es schon in der Story „The Beetle“ von Richard Marsh aus dem Jahr 1897 zu. Ein formwandelndes Wesen aus dem Alten Ägypten, das gern hellhäutige europäische Frauen opfert, betreibt im modernen London mal als Araber, mal als Riesenkäfer seine finsteren Geschäfte. Auf der Seite der Guten steht unter anderem ein junges, hoffnungsvolles Talent auf dem Gebiet der Entwicklung chemischer Kampfstoffe. Ufff!

Würden solche Storys genauso stark wirken, wenn es sich bei Ägypten einfach nur um einen miesen, hässlichen Ort wie Mordor handelte? Wohl kaum. Pracht und Flair der alten Hochkultur erzeugen erst in Zusammen-spiel mit Gefahr und Fremdartigkeit diesen differenzierten Mix wider-sprüchlicher Empfindungen. Abstoßend attraktiv: Irgendwie scheint es zu funktionieren.

Erwähnenswert, dass „The Beetle“ im Rennen um die höchsten Verkaufs-zahlen anfangs die Nase vorn hatte vor dem zeitgleich erschienenen „Dracula“ von Bram Stoker. Übrigens hat Stoker selbst sein Scherflein zur ägyptischen Phantastik beigetragen – mit der Erzählung „The Jewel of Seven Stars“, deutsch „Die sieben Finger des Todes“. 1903 erstmals erschienen, wurde ihr 1912 eine inhaltlich veränderte Version nach-geschoben.

Die Handlung dreht sich um die zaubermächtige Königin Tera, deren Mumie und Sarkophag im Londoner Haus eines berühmten Ägypten-forschers aufbewahrt werden. Rätselhafte Vorfälle verdichten sich zum Verdacht, dass Tera – vor Jahrtausenden geplant – im Begriff ist, ins Leben zurückzukehren. Dabei handelt es sich durchaus um keine Geschichte einer romantischen Liebe, die die Abgründe der Zeit überdauert, sondern um den nackten Lebenswillen einer mächtigen Zauberin. In der ersten Version kommt es zur Katastrophe, während die überarbeitete Fassung in ein etwas doppelbödiges Happy End mündet. Die Geschichte kann einen gewissen Rang für sich reklamieren. Immerhin wurde sie mindestens viermal verfilmt.

Berühmt wurde Arthur Conan Doyle (1859-1930) vor allem für seine literarische Figur des Sherlock Holmes. Nun kann der super-analytische Meisterdetektiv wohl kaum als Alter Ego des Autors gelten. Der hatte vom gelernten Beruf als Arzt und vom Äußerlichen her (jedenfalls von vielen Verfilmungen aus gesehen) wesentlich stärkere Ähnlichkeit zu Dr. Watson. Vor allem scheint er im wirklichen Leben einen ausgesprochen leichtgläubigen Zeitgenossen abgegeben zu haben, der sich sogar mit retuschierten Fotos tanzender Mini-Elfen hereinlegen ließ – wie er auch sonst einen ausgeprägten Hang zum Okkulten pflegte. Als Autor des Phantastischen aber gehörte er unangefochten zur Spitze. Nicht nur Sherlock Holmes entstammte seiner Feder, sondern auch der Roman „Die vergessene Welt“ aus dem Jahr 1912. Die Geschichte eines südameri-kanischen Hochplateaus, auf dem bis auf den heutigen Tag Dinosaurier überlebten, schuf eine Tradition, die über „King Kong“ von Edgar Wallace bis hin zum Blockbuster „Jurassic Park“ ausgreift.

Und natürlich blieb auch Ägypten nicht unter seinem Radar. Als besonders einflussreich erwies sich die Kurzgeschichte „The Ring of Thoth“ von 1890. In der ägyptischen Abteilung des Louvre wird ein Student der Ägyptologie von plötzlicher Schläfrigkeit übermannt und wacht erst wieder auf, als das Museum längst geschlossen ist. Bei seinem Gang durch die nächtlichen Ausstellungsräume beobachtet er einen Fremden, der eigenartige Rituale an einer Mumie vollführt. Der seltsame Besucher offenbart seine Geschichte. Er stammt aus dem Alten Ägypten, wo er vor 3.500 Jahren eine Medizin entdeckt hatte, die ihm ewiges Leben gewährt. Da seine Geliebte aber längst tot ist und seine Unsterblichkeit die Vereinigung im Jenseits unmöglich macht, befindet er sich auf der Suche nach einem Gegenmittel. Bei der Mumie handelt es sich um seine große Liebe, die das gesuchte Elixier in einem Ring bei sich trägt… Hoch anzurechnen ist dieser Story allemal, dass sie auf plakative Fremdenfurcht verzichtet und stattdessen einen anrührenden düster-romantischen Faden spinnt.

Wir bewegen uns in der Ära, in der Filmpionier Georges Méliès begann, den Photos publikumsgerecht Beine zu machen. Und schon in dieser kinematographischen Schöpfungszeit meldete der Ägyptenhorror – wenn auch zunächst in ziemlich verspielter Form – seine Rechte an. 1903 kurbelte Méliès den Zwei-Minuten-Streifen „Le Monstre“ ab, in dem sich vor der Kulisse einer imposanten Sphinx ein ägyptischer Zauberer abmüht, eine tote Prinzessin zum Leben zu erwecken. Nach ein paar Tanzschritt-chen kollabiert die Gute allerdings wieder zu einem leblosen Skelett.

Seitdem ist Ägypten aus dem Zelluloiduniversum nicht mehr wegzudenken. Matthew Coniam kommt in seiner Filmographie zur Ägyptomanie bis 2015 auf ca. 200 Titel, wobei es sich allermeist um Storys aus dem Bereich des Phantastischen handelt. Verständlich, dass sich dieser Überblick mit einigen Highlights begnügen muss.

Konsequenterweise war es das Vereinigte Königreich, Wahlheimat des Ägyptenhorrors, wo die ersten echten unheimlichen Spielfilme zum Thema produziert wurden: 1912 der Kurzfilm The Vengeance of Egypt, in dem es um einen fluchbeladenen Ring geht, der einer Mumie entwendet wurde. 1915 dann in Stundenlänge The Avenging Hand, in der sich der Geist einer ägyptischen Prinzessin in London auf die Suche nach ihrer Hand begibt, die mittlerweile ein selbstbestimmtes und mörderisches Eigenleben führt. Es darf vermutet werden, dass sowohl Stokers „Die sieben Finger des Todes“, in der unter anderem auch um eine abgetrennte Hand eine Rolle spielt, als auch Gautiers „Mumienfuß“ beim Plot Pate gestanden haben.

In dieser Zeit erlangte – neben wissenschaftlichem und kreativem Interesse in Literatur, Film und Design – ein dritter Strang der Ägypto-manie immer größere Bedeutung: Das, was ich esoterische Ägyptologie nennen möchte.

Schon im 19. Jahrhundert gab es eine Reihe mathematischer Tüftler, die in den Abmessungen der Pyramiden auf Zahlencodes gestoßen zu sein meinten, die Beziehungen zur Geschichte, biblischer Überlieferung und Astronomie offenbarten. Andere schlossen daraus, dass es sich bei den Erbauern nur um die letzten Überlebenden von Atlantis handeln konnte.

Helena Blavatsky, Begründerin der Theosophie und damit Urmutter der modernen Esoterik, räumte Ägypten und den Pyramiden in ihrer ziemlich psychedelischen Kosmologie großzügig bemessenen Platz ein. Außerdem trug ihre Grundlagenschrift den Titel „Isis entschleiert“ (1877), womit direkt auf eine ägyptische Hauptgöttin Bezug genommen wird.

Das Ganze setzt sich bis in unsere Tage fort: Erich von Däniken beispiels-weise sieht das Alte Ägypten als Hot Spot vorgeschichtlicher außerirdi-scher Besuche an. Andere meinen, auf Fotos der Vikingsonde und des Landemobils Pyramiden auf dem Mars zu erkennen.

Ein besonderer Hype wurde 1922 ausgelöst, als Howard Carter im Tal der Könige das weitgehend intakte Grab des Pharaos Tutanchamun öffnete. Stellte das für sich schon eine archäologische Sensation dar, wurde die Sache noch mysteriöser, als kurz darauf Expeditionsteilnehmer zu sterben begannen. In Windeseile verbreitete sich die Rede vom Fluch der Pharaonen.

In dieser Atmosphäre entschied sich 1932 Carl Laemmle jr., Chef der Universal Studios, den großen Ägyptenhorror zu drehen. Wider Erwarten fand sich keine wirklich geeignete literarische Vorlage, so dass die Drehbuchautoren Richard Schayer und Nina Wilcox Putnam gezwungen waren, ihre kleinen grauen Zellen erheblich in Schwung zu setzen. Fündig wurden sie bei Doyles „Ring of Thot“, der Story eines unsterblichen Ägypters, der sich mit seiner großen Liebe wiederzuvereinen trachtet. Außerdem gab es da noch diesen Schwarzmagier Cagliostro, der im 18. Jahrhundert von sich behauptete, uralt und unsterblich zu sein. Aus diesen Versatzstücken bastelten sie die Geschichte des Priesters Imhotep, dessen Mumie durch einen dummen Zufall wiederbelebt wird.

Für dessen Rolle fiel die Wahl auf den hoch aufgeschossenen Briten William Henry Pratt. Der war ausgebildeter Bühnenschauspieler, mit markanten Gesichtszügen gesegnet und exzentrisch genug, sich den Künstlernamen Boris Karloff zuzulegen. Außerdem hatte er ein Jahr zuvor mit seiner Darstellung des Frankensteinmonsters gigantischen Erfolg eingefahren.

Archäologen finden im Jahr 1921 das Grab des mächtigen Priesters Imhotep. Offenbar wurde er bei lebendigem Leib mumifiziert, was sich nur als extrem schwere Bestrafung erklären ließ. Unglücklicherweise rezitiert einer der Ausgräber im Beisein des Sarkophags mit lauter Stimme aus einer Schriftrolle mit geheimen Beschwörungsformeln. Wie es nicht anders kommen konnte, wird die Mumie zu neuem Leben erweckt.

Von ihren Bandagen befreit, mischt sie sich als orientalischer Antiquitäten-händler Ardath Bey unters Volk. Karloffs Gesichtsmaske mit der ver-schrumpelten, pergamentartigen Haut ist einfach nur genial zu nennen. Vor allem setzt sie nicht auf Schock und Ekel, sondern erweckt einfach nur den Eindruck unermesslichen Alters.

Besonderes Interesse hegt der Wiederbelebte für die Mumie der Prinzessin Anck-es-en-Amun. Wie sich später herausstellt, hatte er zu Lebzeiten ein äußerst verbotenes Verhältnis mit ihr, wofür er schließlich büßen musste.

In Kairo fällt sein Blick auf die junge Helen Grosvenor, die er für die Wiedergeburt seiner Geliebten hält. Zunehmend gerät sie in seinen hypnotischen Bann…

In diesem Film tritt ein Merkmal auf, das zur DNA des Genres zu gehören scheint und von einer Generation zur nächsten weitergeben wird wie die Habsburger Lippe: Die Rückblende. In der wird – mal mehr, mal weniger gelungen – in der Kulisse des Alten Ägypten die Vorgeschichte zur Handlung erzählt.

Imhotep/Ardath Bey ist ein finsterer, rücksichtsloser Charakter, der auch nicht davor zurückschreckt, nette Hunde umzubringen, wenn sie ihm im Weg sind. Und dennoch bildet die Geschichte einer Leidenschaft über die Jahrtausende hinweg einen höchst romantischen Stoff.

Ich vermute, dass sich Francis Ford Coppola für seine Dracula-Verfilmung aus dem Jahr 1992 stark von diesem Motiv hat inspirieren lassen. In Stokers Roman wird der Fürst der Vampire als weitgehend unsentimentaler Machtmensch (oder Machtuntoter?) dargestellt. Bei Coppola ist er vor allem getrieben von der Sehnsucht nach seiner geliebten Elisabeta. Und natürlich wird uns das traurige Ende dieser Liebe in einer Rückblende vorgestellt.

Querverbindungen zwischen Filmen lassen sich aber schon für die 30er Jahre nachweisen. Karloff hat nicht nur die Mumie und Frankensteins Monster gespielt, sondern auch in der äußerst sehenswerten Fortsetzung „Frankensteins Braut“ aus dem Jahr 1935 mitgewirkt.

Teatime
Seriously british! Links Karloff während seiner tea time beim Dreh zur Mumie. Rechts Elsa Lanchester in selber Verrichtung in ihrer Rolle als Frankensteins Braut. Man beachte ihre mumienhafte Verpackung. In dem Film spielte natürlich auch Karloff mit. Ob sie bei dieser Gelegenheit ihren Tee auch gemeinsam nahmen, ist mir leider nicht bekannt.

Nicht nur die Verpackung der Braut lässt darauf schließen, dass sich Ägyptomanisches klammheimlich ins Frankenstein-Universum einge-schlichen hat. Ein weiteres Verdachtsmoment bildet dieses Porträtfoto von Frau Frankenstein in spe…

Braut
Wohl kaum eine rein zufällige und unbeabsichtigte Ähnlichkeit zu Königin Nofretete. Wobei es sich bei der Braut allerdings um eine Frau handelt, die mit der Zeit geht. Dazu beachte man den neckischen Blitz in der Frisur. Dezente Anspielung auf die Energie, der sie ihr neues Leben zu verdanken hat. Tja, Strom bringt’s!

Eine direkte Fortsetzung gab es nicht, aber ab 1940 produzierten die Universal Studios eine kleine Serie von schwarzweißen Mumienfilmen, die es mit dem Streifen von 1932 künstlerisch nun aber nicht aufnehmen können. Die Mumie selber heißt jetzt Kharis, wobei man trotz dieser Abweichung nicht davor zurückschreckte, Filmmaterial aus dem Karloff-Film wiederzuverwenden. Wie die budgetären Einschränkungen überhaupt unübersehbar sind.

Der Bandagenunhold wurde im ersten Film (The Mummy’s Hand ) von Tom Tyler gespielt, in den Fortsetzungen (The Mummy’s Tomb, The Mummy’s Ghost, The Mummy’s Curse) von Lon Chaney jr.. Im Laufe der Serie wurde die Handlung in die USA verlegt, was der Atmosphäre meiner Meinung nach insgesamt nicht besonders guttat. Wenn sich in Mummy’s Curse frankophone Cajuns aus den Sümpfen auf Mumienjagd begeben, trifft das nicht unbedingt jedermanns Geschmack.

Auf mich selber haben diese Produktionen jedenfalls keinen großen Eindruck gemacht. Mit einer Ausnahme vielleicht:  In Mummy‘s Curse (1944) kämpft sich Prinzessin Ananka (gespielt von Virginia Christine) quälend mühsam aus dem schlammigen Sumpf,  in dem sie einen Film vorher versunken war. Eine beeindruckende primordiale Urzeugungsszene. Bleibt zu erwähnen, dass das Südstaatensetting und die lebensspendenden Tanablätter in einem wesentlich neueren Film noch eine gewisse Rolle spielen werden.

In den 50ern war es den britischen Hammer Film Productions gelungen, mit Horrorfilmen wie Dracula (selbstredend mit Christopher Lee in der Titelrolle) aus ihrem Nischendasein ins Licht der breiten Öffentlichkeit zu treten. Und so entschloss man sich, auch im Mumienhorror eigene Akzente zu setzen. Da das Vereinigte Königreich ohnehin so etwas wie das Mutterland der ägyptischen Phantastik darstellt, ließe sich fast sagen: Mummy‘s coming home.

Und so erblickte 1959 der Farbfilm „The Mummy“ (deutsch „Die Rache der Pharaonen“) das schummrige Licht der Kinowelt. Zum gleichnamigen Karloff-Film aus den 30ern bestanden kaum Beziehungen, dafür hielt man sich sehr akkurat an den Plot der Sequels aus den 40ern. Wieder geht es um die Mumie Kharis und Prinzessin Ananka. Und natürlich darf ein zwielichtiger orientalischer Wiederbelebungsfanatiker nicht fehlen.

Zum größten Minus zählt für mich, dass im Film extrem langatmig und pathetisch deklamiert wird, etwa so: „Du großer Gott Karnak, Vater aller lebendigen Dinge, höre auf die demütigen Worte des Unwürdigsten deiner Sklaven. Für diese schreckliche Entweihung gelobe ich dir Genugtuung. Die Ungläubigen, welche die Ruhe deiner Priesterin grausam zu stören wagten, …“ und so weiter und so fort.

Ein absolutes Plus aber stellt die Musik mit ihrem gänsehautaffinen Hauptmotiv dar. Und als Sahnehäubchen gibt sich eines der produktivsten (platonischen) Paare der Filmgeschichte die Ehre: Peter Cushing und Christopher Lee. Darin übernimmt Lee den Part der komplett bandagierten Mumie, der zur Entfaltung mimischen Talents nur ein schmaler Sehschlitz zugebilligt wurde. Mit diesen eingeschränkten Mitteln den Ausdruck animalischer Destruktivität zu erzeugen, gelingt Lee aufs Bravouröseste. Wobei ihm seine hünenhafte Gestalt sehr zupass kommt.

An dieser Stelle ein kurzer Exkurs zum Thema Mumifikation. Einer Theorie nach ist der Brauch folgendermaßen entstanden: Die Ägypter waren abgeneigt, ihre Toten im schmalen, fruchtbaren Teil des Landes nahe des Nils zu bestatten. Überschwemmungen hätten die Gräber freilegen können, was für die Toten entwürdigend und für die Lebenden kein schöner Anblick gewesen wäre. Daher wählten sie die Wüste als letzte Ruhestätte. Als dort die bemerkenswerten konservierenden Eigenschaften der extremen Trockenheit offenbar wurden, kamen die Ägypter auf die Idee, dem Prozess weiter nachzuhelfen, und so entwickelten sie über die Jahrhunderte hinweg immer raffiniertere Methoden der Erhaltung.

Die alten Ägypter waren weiß Gott nicht die Allergrößten. Außerdem dürften die Jahrtausende der Konservierung von einem Schrumpfungs-prozess begleitet worden sein. Daher rufen Mumien vor allem den Eindruck von Winzigkeit und Fragilität hervor. Eine eher traurige Angelegenheit, wie ein Ägyptologe kommentiert. Lees Berserkermumie sollte also am besten unter der Rubrik dichterische Freiheit eingeordnet werden.

Nun sah Hammer Films die Zeit gekommen, sich an die echten Klassiker der ägyptischen Phantastik heranzu­wagen. Die Wahl fiel auf Bram Stokers „Jewel of Seven Stars“. Abgedreht wurde der Streifen 1971 unter dem Titel „Das Grab der blutigen Mumie“ (Blood from the Mummy’s Tomb). Allerdings entwickelten sich die Dreharbeiten zum Debakel, das einem bösen Omen gleich seinen Schatten über die Firma warf. Für die Rolle des Ägypten-forschers Fuchs war Peter Cushing vorgesehen, der aber nach dem ersten Drehtag zurücktreten musste, nachdem seine Frau schwer erkrankte und kurz darauf starb. Genauso plötzlich erlag Regisseur Seth Holt mitten in den Dreharbeiten einem Herzinfarkt. Wie sich herausstellte, existierte das Drehbuch nicht auf Papier, sondern vor allem in Holts Gehirn.

Das mag dazu beigetragen haben, dass die Handlung etwas holperig und nicht sonderlich stringent wirkt. Wie sich die Produktion auch insgesamt im Vergleich zur literarischen Vorlage viele Freiheiten nimmt. Wenn nun nicht gerade ein Kunstwerk, bietet der Film trotzdem einige atmosphä-rische Momente. Was aber offenbar nicht mehr ausreichend war. Auf Dauer hatte plüschiger viktorianischer Charme keine Chance gegen den neuen, ultrabrutalen US-amerikanischen Horror à la „Exorzist“. 1979 meldete Hammer Konkurs an.

Bereits ein Jahr vor Mummy’s Tomb war der Stoff fürs britische Fernsehen verarbeitet worden. Vier Jahre lang (1966-1970) wurden in der Serie „Mystery and Imagination“ insgesamt über zwanzig Storys bekannter Autoren des Unheimlichen fürs TV adaptiert – zuletzt Stokers „Jewel of Seven Stars“ unter dem Titel „The Curse of the Mummy“. Auch wenn die ägyptische Rückblende nicht fehlen durfte, wirkt das Ganze ziemlich kammerspielmäßig, womit der Originalerzählung durchaus Genüge getan wurde.

1980 wurde der Stoff abermals fürs Kino verfilmt. Zwar handelt es sich beim „Erwachen der Sphinx“ (The Awakening) nominell um eine britische Produktion, doch waren in Person von Charlton Heston und Stephanie Zimbalist die Hauptrollen mit amerikanischen Mimen besetzt. Die Kritiken fielen durchwachsen aus. Heston hielt man vor, keinen authentisch britischen Akzent zuwege zu bringen, und Zimbalist galt schlicht als zu nett, um der ägyptischen Herrscherin (die jetzt Kara anstatt Tera hieß) die nötige Diabolik zu verleihen. Das Erfinden neuer Handlungsstränge nahm man auf die leichte Schulter, einige Figuren wurden in ihren Rollen ver-tauscht wie bei einer Schachrochade. Insgesamt keine cineastische Sternstunde, aber immer noch unterhaltend und abendfüllend genug. Lobend zu ergänzen, dass der ägyptische Part ganz überwiegend an Originalschauplätzen gedreht wurde.

Eine weitere Version stammt aus dem Jahr 1998 und war für den direkten Konsum via Video und DVD – ohne Umweg über die Kinos – gedacht. Produktionen dieser Art genießen nicht gerade höchstes Ansehen. „Legend of the Mummy“ scheint diese Vorurteile im vollen Umfang zu bestätigen. Die Bewertung auf dem Filmportal IMDB liegt bei 2,9 (von zehn möglichen) Punkten. Womit alles Wesentliche gesagt sein dürfte.

Um ein Entertainmentereignis ganz anderen Kalibers handelt es sich bei der „Mumie“ aus dem Folgejahr. Mit Stoker hat der Film nichts zu schaffen, dafür lehnt er sich vage an Karloffs Mumie an. Dem Projekt stand ein Budget von 80 Millionen Dollar zur Verfügung, das zu einem nicht geringen Teil in computergestützte Tricktechnik gesteckt wurde. Tatsächlich sind die Effekte durchaus spektakulär – trotzdem muss ich gestehen, dass ich mit dem Streifen herzlich wenig anfangen kann.

Sehr unangenehm fällt auf, mit welcher Bedenkenlosigkeit dargestellt wird, wie gegnerische Araber zu Dutzenden niedergeballert oder über den Haufen gebrettert werden. Nun gibt sich der Film nicht nur antiarabisch, sondern auch antiägyptisch. Wenn unseren europäisch-amerikanischen Helden Heere von halbverwesten Mumienzombies und Fantastillionen von Käfern zusetzen, kann ich darin nichts als den aufgewärmten, allenfalls aufgepimpten „Abstoßend-attraktiv“-Kohl erkennen.

Eine Szene verdient besondere Erwähnung. Als der wetterwendische Halunke Beni mit der Mumie konfrontiert wird, hält er ihr zur Abwehr der Reihe nach Glücksbringer der verschiedenen Weltreligionen unter die Nase, wobei er Beschwörungsformeln in der jeweiligen Sprache haspelt. Beim Davidstern, unterlegt von einer hebräischen Sentenz, wird die Mumie hellhörig. „Ah, die Sprache der Sklaven!“

Spätestens seit dem Monumentalschinken „Die zehn Gebote“ von Cecil B. DeMille aus dem Jahr 1956 dürfte sich in der Öffentlichkeit die Vorstellung festgesetzt haben, dass die Pyramiden von – überwiegend jüdischen – Sklaven erbaut wurden.

Die Archäologie erzählt eine andere Geschichte. In unmittelbarer Nähe zu den Pyramiden stieß man auf sorgfältig nach ägyptischem Ritus angelegte Gräber für Bauleute. Für Sklaven eher ungewöhnlich. Massen an Rinder- und Schafskeletten sprechen dafür, dass die Bauarbeiter ziemlich hochwertig verköstigt wurden. Auch boten die Arbeiterquartiere so wenig Platz, dass ein kurz getaktetes Rotationsverfahren vermutet wird. Nicht zu vergessen, dass Papyrusrollen mit Gehaltslisten gefunden wurden. Da es noch keine Münzen gab, stellten Brot und Bier besonders populäre Währungen dar. Mit einem Wort: Die Pyramiden wurden nicht von Sklaven erbaut, sondern von Kontraktarbeitern und freien Ägyptern in Form kurzfristiger Hand- und Spanndienste.

Wesentlich mehr nach meinem Geschmack ist da das kleine Juwel „Bubba Ho-Tep“ aus dem Jahr 2002. Die Hauptrolle fiel Trash-Ikone Bruce Campbell zu, Regie führte Don Coscarelli. Für den nichts unpassender wäre als die Bezeichnung Fließbandarbeiter. Viel mehr Spaß scheint es ihm zu bereiten, das Publikum ungefähr alle zehn Jahre mit einer kleinen Extra-vaganz zu überraschen. Den Anfang machte „Das Böse“ (Phantasm) aus dem Jahr 1979 (das Ding mit der fliegenden Messerkugel im Mausoleum).

Bei „Bubba Ho-Tep“ ist die Prämisse simpel, der Plot schnell erzählt. Campbell spielt einen geriatrischen Elvis Presley, der einen Imitator spielt, der Elvis Presley spielt. Sein bester Kumpel im texanischen Altersheim ist Präsident J.F. Kennedy, der entgegen der Legende nicht getötet, sondern von L.B. Johnson nach dem Attentat heimtückischerweise zu einem Afroamerikaner umgefärbt und in die Anonymität katapultiert wurde – nachdem sein durch Schüsse ramponiertes Gehirn mit einem kleinen Sandbeutel repariert wurde. So jedenfalls die Version von Mr. President. Verwirrend wird die Angelegenheit, als eine wiederbelebte ägyptische Mumie, die während einer Wanderausstellung bei einem Unfall im nahe gelegenen Fluss landete, sich seelenfressenderweise an den Senioren zu stärken versucht… na gut, lassen wir das.

Wer aber schon immer sehen wollte, wie sich ein deutlich in die Jahre gekommener „King“ ein Duell liefert mit unangenehm überdimensio-nierten Insekten und sich dabei Kampfkünsten bedient, die ich in Ermangelung einer präzisieren Bezeichnung Rollator-Kung-Fu nennen möchte, kommt jedenfalls voll und ganz auf seine Kosten.

Ob es ein perfektes Happy End gibt, verrate ich nicht. Jedenfalls schieben sich am Ende die Sterne am Nachthimmel zu Hieroglyphen zusammen und verkünden: „Alles ist gut!“

Theo, Sophie und die Wurzelrassen

Über ein mächtig okkultes Fundament der Science Fiction

Zu den unausrottbaren Vorurteilen zählt, dass Science Fiction in Literatur verpackte Wissenschaft sei. In einem erstaunlichen Umfang ist das schroffe Gegenteil wahr: Wohl kaum hat eine einzelne Persönlichkeit dem fantastischen Genre so deutlich den Stempel aufgedrückt wie eine furiose Rebellin gegen neuzeitliche Naturwis­sen­­­schaft. Die Rede ist von Helena Blavatsky, Begründerin der Okkultlehre namens Theosophie. Spürt man den nachgewiesenen und wahrscheinlichen Einflüssen ihrer Lehre auf die phantastische Literatur nach, liest es sich streckenweise wie ein „Who is Who“ der bekanntesten Weird- und Science-Fiction-Autoren.

Geboren wurde Helena Hahn 1831 in Jekaterinoslaw als Tochter eines deutschen Obersten im Dienst des Zaren und einer russischen Adligen. Aus der Ehe mit dem wesentlich älteren Nikifor Blavatsky floh sie, noch bevor diese vollzogen wurde.

Es folgte eine Reihe unsteter Wanderjahre, die sie kreuz und quer durch Europa, nach Mexiko, Persien und Tibet gebracht haben sollen (1). Dass sie schon als Jugendliche im Ruf eines Schreibmediums stand, scheint ihre spätere Karriere in mehr als einer Hinsicht vorgezeichnet zu haben. Während ihrer Reisen diente sie nicht nur dem spiritistischen Medium Daniel Dunglas Home zeitweise als Assistentin, sondern wandelte auch in Indien und anderswo auf den Spuren östlicher Weis­heitslehren. 1873 schließlich kam sie nach New York, wo sie sich der florierenden Spiritistenszene anschloss und den Miracle Club gründete. „Die Geister bewegten nun schon Tische, ließen Möbel durch die Luft schweben, spielten auf Musik­instrumenten und materialisierten sich sogar bei Séancen“ (2).

Auf den 7. September 1875 dann fiel ein Ereignis, das als Meilenstein in der Geschichte des modernen Okkultismus gilt: Die Gründung der Theosophischen Gesellschaft. Den Begriff Theosophie haben weder Frau Blavatsy noch ihre Entourage selber erfunden, galt er doch vorher als Sammelbegriff für viele Formen des Mystizismus – doch ab diesem Zeitpunkt trägt er sozusagen das Copyright-Zeichen.

Besonders herausgefordert fühlte sich Blavatsky durch die seit kurzem grassieren­de Evolutionstheorie, dem hoffnungslosen Materialismus eines Charles Darwin oder Thomas Huxley. So erkor sie sich zur Aufgabe, diesen bedrohlichen Tenden­zen eine von Spiritualität und uralter Weisheit behauchte Menschheits­geschichte entgegenzusetzen. Und so tat sie, was sie am besten konnte: Schreiben in ständiger Tuchfühlung mit der Geisterwelt. Auf diese Weise erblickten Werke wie „Isis entschleiert“, „Die Geheimlehre“ oder „Der Schlüssel zur Theosophie“ das Licht der Welt.

Auch wenn H.B. ganz gewiss eine ungewöhnlich belesene Frau war, lassen sich Zweifel an ihrem kritischen Verstand nicht völlig unterdrücken. Statt auf Logik und empirische Überprüfung setzte sie entschieden auf Anmutungen, Visionen und Intuition. Das Ganze erweckt den Anschein, als ob das Gelesene über den Sehnerv ins Gehirn gelangte, dort Purzelbäume schlug, um nonstop und unter hohem Druck in die Schreibhand zu fließen. Auch die Nachfolger, die ihre Gedanken mit dem einen oder anderen neuen Detail schmückten, waren nicht unbedingt erleuchtete Meister des klaren Ausdrucks. Der Sache tat es keinen Abbruch: Dafür, dass die Lehre geheim war, erreichte sie erstaunliche Auflagen. Gleichzeitig schossen überall in Amerika, Europa – und Indien! – theosophische Gesellschaften aus dem Boden.

Nun hinterlässt die Theosophie weniger den Eindruck uralten Weistums als den einer kruden Science-Fiction-Religion, in der Versatzstücke aus Gnostik, indischem Mystizismus, Rassentheorie, moderner Astronomie und jede Menge okkult-spiritistischer Hokuspokus am staunenden Betrachter entlang paradieren.

Für die Theosophen stellt der Kosmos eine Art lebenden Organismus dar, der vor allem von übernatürlichen und meistens unsichtbaren Kräften erfüllt ist. Hin und wieder materialisiert ein Planet und durchläuft eine siebenstufige Evolution, um am Ende wieder ins Absolute zurückzukehren.

Auch der Mensch besteht aus sieben Komponenten, einigen physischen und einigen körperlosen, unter anderem dem Astralkörper. Eben der sei auch für all die okkult-spiritistischen Phänomene wie Telepathie und Hellsehen verantwortlich (3). Die unstofflich-unsterblichen Anteile gehen beim Tod auf ein anderes Individuum über, denn selbstverständlich glauben Blavatsky & Co. auch an die Reinkarnation.

Wie sehr es die Theosophie mit der Zahl Sieben hat, wird endgültig an ihrer Rassen­lehre deutlich. Im Laufe seiner Evolution wird der Planet Erde von insgesamt sieben „Wurzelrassen“ besiedelt. Derzeit befinden wir uns im Zeitalter der fünften, der arischen Rasse. Ihr gingen die polarische, die hyperboräische, die lemurische und atlantische voraus.

„Erst in der lemurischen ‚Rasse‘ habe der Mensch einen physischen Körper erhalten; in den vorherigen Epochen sei er ‚ätherisch-astralisch‘ gewesen. Jede Wurzelrasse wird bei Blavatsky wiederum in sieben Abschnitte, die sogenannten Unterrassen, unterteilt. Die gegenwärtige ‚arische‘ Rasse oder Epoche habe bisher fünf Abschnitte durchlaufen: die ur-indische, die ägyptisch-chaldäische, die ur-persische, die griechisch-lateinische und die aktuelle germanisch-nordische oder teutonische Unterrasse“ (aus 4).

Des Weiteren klärt die Theosophie autoritativ das Rätsel der Verwandtschafts­beziehungen zwischen Affe und Mensch. Nicht der Mensch stammt vom Affen ab, sondern umgekehrt: Indem Männer früherer Wurzelrassen ihren Trieb nicht beherrschen konnten und mit weiblichen Tieren Verkehr hatten, setzten sie Affen und andere Abscheulich­keiten in die Welt (3).

Auch untergegangene Kontinente spielen eine hervorgehobene Rolle – besonders Lemuria im indischen Ozean, das von der dritten Wurzelrasse bewohnt gewesen sei. „Diese Wesen hatten krumme Beine, vier Arme, Augen auf dem Hinterkopf, waren Hermaphroditen und legten Eier. Gemeinsam mit den Dinosauriern (ja, tatsächlich!) lebten sie in Lemuria und erfanden den Sex. Das führte aber zum Untergang von Lemuria“ (aus 5). Ursprünglich handelte es sich bei Lemuria übrigens um eine irrige, aber dennoch nüchterne wissenschaftliche Theorie, die bestimmte tiergeographische Beziehungen zwischen Afrika und Südostasien erklären sollte.

Weitere Anregungen fand Helena Blavatsky im altehrwürdigen Atlantismythos. Ihr zufolge handelte es sich bei den Atlantern um die Nachfahren der Lemurier. Da sie in der Lage waren, die Schwerkraft zu kontrollieren, war es ihnen ein Leichtes, mit Luftschiffen durch den Himmel zu kreuzen und Gigantarchi-tekturen wie Stonehenge auf die Beine zu stellen (6). Möglich wurde ihnen das durch die mystische „Vril“-Kraft, einer Lesefrucht, die Blavatsky beim englischen Phantastik­autoren Bulwer-Lytton („The Coming Race“) gepflückt hatte (7). Bei den Luftschiffen dachte sie allerdings weniger an neuzeitliche Luft- und Raumfahrttechnik als an die Vimanas, den Himmelsgondeln, die sich schon in der altindischen Veda finden (8,9). Erwähnenswert auch, dass die Ernährungs-grundlage der Atlanter aus außerirdi­schem Weizen bestand (10). Doch all diese Innovationen halfen am Ende nicht. Die Atlanter waren dem Untergang geweiht, weil sie sich zu tief in schwarz­magische Praktiken verstrickt hatten (11).

Da der Kosmos aus Sicht der Theosophen ohnehin vor geistigen Wesen wimmelte,  war die Vorstellung von Außerirdischen alles andere als ein gedanklicher Salto. Schon Blavatsky selber spekulierte über Leben auf fremden Welten und vertrat die Auffassung, dass die Weisen früherer Epochen um intelligentes Leben auf der Venus wussten (12). Gelegentlich bezog sie sich dabei auf den populären, erheblich zu Phantastik und Esoterik neigenden Astronomen Camille Flammarion, der ganz nebenbei zu den Gründungsmitgliedern der Theosophischen Gesellschaft gehörte.

In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts bauten Arthur E. Powells und Scott-Elliott, Theosophen der nächsten Generation, den venusianischen Mythos weiter aus. Ihrer Lesart nach landeten die Venusier in der Vorzeit mit einer großen Raumschiffflotte auf der Erde und/oder projizierten ihre Seelen in die Körper der Lemurier, womit sie deren geistige Anführer wurden. Verantwortlich zeichnen sie unter anderem für die Steinmonumente auf den Osterinseln (13).

Einen weiteren Aspekt theosophischer Welterklärung stellen übernatürliche und unsichtbare Geistwesen dar, die teilweise aus fremden, ebenso unsichtbaren Welten stammen. Sie nehmen die Rolle von Wächtern ein, die der Menschheit dabei helfen, auf dem Pfad der Höherentwicklung zu bleiben. Unerleuchtete vortheosophische Kulturen kannten Namen wie „Engel“ oder „Buddhas“ für diese Wesen (8). Ein wenig überraschend, dass für die Theosophen auch Luzifer einen ähnlich charmanten Part einnimmt (14) – ein Detail, das in einem anderen Zusammenhang erhebliche Bedeutung haben wird.

Die Ausstrahlung der Theosophie ist beachtlich. Nicht nur, dass sie einen großen Anteil an der Verbreitung indischer (Pop-)Mystik im Westen hat. Um einen der bekanntesten Theosophen überhaupt handelt es sich bei Rudolf Steiner, der zeitweise als Generalsekretär der deutschen theosophischen Sektion fungierte. Später sagte er sich unter Mitnahme des Vereinsvermögens los, um seine eigene Lehre, die Anthroposophie, zu propagieren, die die Grundlage der Walddorfschulen bildet.

Über Querverbindungen bestehen Beziehungen zur etwas unappetitlichen Figur Aleister Crowley und dem neuheidnischen „Wicca“-Hexenkult. Insgesamt spielten Theosophen in der esoterischen Szene eine so wichtige Rolle, dass es Alice Bailey, einer Anhängerin Blavatskys, zufiel, mit dem Begriff „New Age“ den Namen für eine ganze Bewegung zu kreieren.

Kehren wir noch einmal zum berüchtigten Schwarz- und Sexualmagier Aleister Crowley (1875-1947) zurück. Eine frühe Station seiner okkulten Karriere stellte der  OTO (Ordo Templis Orientalis) dar, einer ritualmagischen Verbindung, die von deutschen Theosophen gegründet worden war. Auch später noch schien Crowley  die Theosophen wachen Auges verfolgt zu haben. Er ließ sich sogar herbei, Helena Blavatsky seine spirituelle Schwester zu nennen, was bei einem Egomanen seines Zuschnitts ein unüberbietbares Kompliment darstellen dürfte (15).

Zu Crowleys Schülern gehörte der Amerikaner Jack Parsons. Dieser arbeitete eng mit einem ebenso vom Okkulten besessenen Freund zusammen, der sich als Science-Fiction-Autor über Wasser hielt. Sein Name war L. Ron Hubbard. Im Jahr 1950 brachte er das Buch „Dianetics“ heraus, einen Ratgeber, der praktische  Handreichungen für den Alltag bot: unter anderem, wie man zu einem unsterb­lichen Geistestitanen wird – wobei unsterblich wörtlich zu nehmen ist. Der Erfolg war groß genug, um eine Reihe von Seminaren folgen zu lassen. Doch setzten ihm die Mächte der Finsternis in Gestalt des Finanzamts derart zu, dass er sich entschloss, ihnen ein Schnippchen zu schlagen. Und so gründete Hubbard eine steuerbefreite Religionsgemeinschaft. Das war die Geburtsstunde von Scientology (16). Wie der Blogger Jason Colavito nachweisen konnte, handelt es sich bei den Hubbardschen Lehren um nichts anderes als aufgepeppte Theosophie: Angefangen bei einem von Geistwesen bevölkerten Kosmos, über außerirische Besucher auf der vorzeitlichen Erde, untergegangenen Kulturen und Kontinenten bis hin zu Seelenwanderung und übernatürlichen Fähigkeiten (13). In späteren Jahren gab Hubbard die Leitung von Scientology aus den Händen und schrieb wieder Science-Fiction-Romane. Einer davon, Battlefield Earth“, wurde vor einigen Jahren mit John Travolta in der Hauptrolle verfilmt.

Und damit wären wir mitten drin im Beziehungsnetz von Theosophie und Science-Fiction. Der Austausch fand durchaus nicht auf der Einbahnstraße statt. So zollte Helena Blavatsky dieser Literaturgattung große Hochachtung und deutete sie als Arterinnerungen an frühere Rassen und Epochen. Außerdem bediente sie sich ganz handfest bei Bulwer-Lyttons Roman „The Coming Race“, indem sie die Idee der Vril-Kraft in ihr Opus übernahm (17).

Gern zur Feder griff auch die prominente Esoterikerin Dion Fortune, die zusammen mit einigen Theosophen eine eigene Vereinigung gegründet hatte. Neben okkulten Traktaten verfasste sie eine ganze Reihe von Fantasy-Romanen (18). Auch die mit Theosophie und anderen Geheimlehren abgesättigte Esoteriklegende Maria Szepes tummelte sich hin und wieder in den Gefilden unterhaltender Literatur. Besonders bekannt ist ihr Alchemistenknüller „Der Rote Löwe“. Doch auch in ihren nichtfiktionalen (wenn man das so sagen kann) Werken schlug sie dann und wann einen bemerkenswert forschen Ton an: „Also begann die Atomkraft-Offensive der Lemurier gegen Atlantis. Das gespenstische Konzert der vernichtenden Elemental-Orgeln, der Kampf der Angriffs- und Abwehrkräfte, welche über die Empfangs- und Sendeantennen der magischen Zyklopenbauten, zwischen die Sternbahnen des Weltalls ausstrahlten, störte die Ordnung und das Gleichgewicht des Kosmos. Die Kräfte fingen einen unerwarteten, unerwünschten Himmelsvagabunden in ihrem Netz ein, änderten dessen Richtung und trieben seine zerstörerische Wirkung auf die Erde zu“ (aus 19).

Ja – und was wäre die Science-Fiction ohne Außerirdische? Viel Treibstoff wurde dem Genre durch jene Zeitgenossen zugeführt, die tatsächlich Kontakt mit Aliens gehabt haben wollen. Zu den ganz großen Stars des Ufo-Sichtungs-Booms nach dem 2. Weltkrieg gehört George Adamski. Bei unserem Georgi scheint es sich um ein einigermaßen pfiffiges Kerlchen gehandelt zu haben, von dem mehr als eine geniale (und lukrative) Idee überliefert ist. Bis in die zwanziger Jahre hinein sehen wir ihn als Armeeangehörigen und Instandsetzungsarbeiter im Yellowstone-Nationalpark. Und vor allem als eifrigen Studenten theosophischer Schriften. Im Jahr 1926 dann sein erster Gedankenblitz: Er gründete die theosophisch ausgerichtete Gemeinschaft des „Royal Order of Tibet“. Verbunden damit war die Lizenz zum Herstellen und Anbieten von Wein zu zeremoniellen Zwecken. Während der harten, trockenen Prohibitionssjahre eine nicht zu verachtende Einkommensquelle (20). Kurz nach Kenneth Arnolds epochaler Ufo-Sichtung im Jahr 1947 begann Adamski, selbstgemachte Fotos von Meteoriten­schauern als Ufo-Beweise zu verkaufen, was ihn zur lokalen Berühmtheit machte.

1952 dann der nächste Geniestreich: Als einer der ersten Menschen des 20. Jahr­hunderts verkündete er, mit Außerirdischen in Kontakt getreten und zu Rundflügen in einer Fliegenden Untertasse eingeladen worden zu sein. Bis zur Venus solle ihn diese Tripps gebracht haben: Bespaßt wurde er dabei von einem gewissen Orthon, einer markanten blond-nordischen Gestalt, die auf telepathischem Wege mit ihm plauderte und die Menschheit vor den Gefahren der Atombombe warnte. Dies war die Geburtsstunde des Aliens vom nordischen Typ (später wurden die „Greys“, die kleine, großköpfige und schlitzäugige Variante, populärer). Außerirdische von der Venus, eine Vorliebe fürs Arische, übersinnliche Kräfte, kosmische Wächter über das menschliche Schicksal – wo könnte man das schon einmal gehört haben?

Zur Unterstützung dieser Behauptungen und zur Verkaufsförderung seines Buches „Fliegende Untertassen landen“ schob George Fotos von besagtem fliegendem Geschirr nach, die mittlerweile längst als Nepp enttarnt sind. Ein Motiv erfreute sich besonderer Beliebtheit. Was es in Wirklichkeit darstellt, ist nicht ganz klar. Zum engeren Verdächtigenkreis gehören Abdeckhauben italienischer Eismaschinen. Trotzdem wurde das Design derart prominent, dass es den Ufos aus der TV-Serie „Invasion von der Wega“ Modell saß (21).

Ein eigenartiger – oder genauer gesagt: eigenartig brauner – Aspekt wurde in den letzten Jahren vor allem durchs Internet in die Ufologie getragen. Es sei klar gesagt, dass die Theosophen keine faschistische Organi­sation bilden oder bildeten. In ihren Gründungsstatuten verpflichteten sie sich zu durchaus humanisti­schen Idealen, außerdem verfolgten sie keine direkt politischen Ziele. Als entschiedene Gegner Darwins, bei denen so und so letztlich alles „geistig“ war, haben sie mit  Extrem- und Vulgärbiologismus sicherlich auch nicht viel anfangen können. Andererseits pflegte Blavatsky in ihrer „Geheimlehre“ einen ausgesproche­nen Arierkult und haute Bemerkungen raus, wonach die Juden grob sinnlich, materialistisch und selbstsüchtig und die farbigen Völker (die „Chândalas“) Degenerationsformen der Arier seien.

In die Blavatskysche Aura wurden damit zwangsläufig auch rechtsauslegende Esoteriker wie Ariosophen, Thulegesell­schaft und Artamanen gesogen, die bei der Anbahnung der NS-Diktatur eine nicht unerhebliche Rolle spielten. Wo es um legendäre Kontinente, Ahnenrassen, Atlantis, reinrassige Arier und parapsychische Fähigkeiten ging, schrieben sie mit flinken Fingern von den Theosophen ab. Während des Dritten Reiches existierte zudem eine kleine bedeutungslose Gruppe, die über die technische Anwendung der „Vril“-Kraft spekulierte (22). Gleichzeitig wurde gelegentlich und am Rande mit kreisförmigen Fluggeräten experimentiert. Fäden, die gewissermaßen nur darauf warteten, zusammengeführt zu werden.

Und so schwang sich 1993 ein rechtsradikaler Verschwörungspamphletist zum chef de cuisine der Gerüchteküche auf. Unter dem Pseudonym Ja van Helsing warf er das Buch „Geheimgesellschaften und ihre Macht im 20. Jahrhundert“ auf den Markt, das beeindruckende Verkaufszahlen erreichte und sich nach Verbot wegen Volksverhetzung via Internet in unzähligen Klonen fortpflanzt. In besagtem Werk finden sich auch extrem verwaschene Fotos von Fliegenden Untertassen mit sprechenden Namen wie „Vril“ und „Odin“ (6). Seitdem gehört das Nazi-Ufo zu den fest etablierten Memen der Populärkultur. Fast meint man den Schlachtruf zu hören: „Heute gehört uns Youtube, morgen die ganze Welt!“. Eine aktuelle Persiflage dazu stellt der Film „Iron Sky“ dar. Die Bewertung bei IMBD fällt allerdings eher mäßig aus. Was ein Grund mehr wäre, das Thema zu den Akten zu legen.

Dass die Götter Astronauten waren, dass die Erde in der Vorgeschichte Ziel außerirdischer Besucher war, hat Erich von Däniken nach eigenem Bekunden durch außersinnliche Eingebungen erfahren (23). Dabei hätten es auch  konventionellere Kanäle der Wissensvermittlung getan: Zum Beispiel Buchhandlun­gen. Tatsächlich wurde er in Zusammenhang mit Plagiatsvorwürfen mehr als einmal gezwungen, nachträglich Hinweise auf Bücher seiner Ideengeber und Vorläufer ins Literaturverzeichnis aufzunehmen. So hat bereits einige Jahre vor Dänikens Debut der fränzösische Science-Fiction-Schreiber Robert Charroux die Idee vorgeschichtlicher Ufo-Kontakte in Sachbüchern verarbeitet.

Doch war auch er weit davon entfernt, der Erste zu sein. Im Jahr 1960 hatte sich das französische Autorengespann Louis Pauwels und Jacques Bergier in ihrem Buch „Le Matin des magiciens“ einer ganzen Palette von Themen angenommen wie Prophezeiungen, Alchemie, die Nazca-Linien, Nazi-Okkultismus und einer fremden Riesenrasse, die in prähistorischer Zeit die Menschheit beherrschte. Beide waren massiv beeinflusst durch den amerikanischen Weird-Fiction-Autoren H.P. Lovecraft (24). Und der hatte das Buch The Story of Atlantis and Lost Lemuria von Scott-Elliott, einem waschechten Theosophen, sehr genau gelesen.

In seinem ersten Leben war David Icke Fußballprofi in der englischen Liga und  Sportreporter der BBC. Im Jahr 1991 ließ er sich während eines TV-Inter­views, in dem er eine Reihe recht krauser Theorien vertrat, unter anderem zur Behauptung hinreißen, der Sohn Gottes zu sein. Dies hätte ohne weiteres das Ende einer Karriere bedeuten können. Für Icke war es der Anfang. Seit dieser Zeit gehört er zu den Schwergewichten der esoterisch-verschwörungs­theoretischen Szene und findet ein nicht gerade bescheidenes Auskommen als Vortragsredner und Buchautor.

Seine Hauptthese lautet, dass unser Planet von der Geheimloge der Illuminaten beherrscht wird. An deren Spitze wiederum steht ein kleiner Kreis von Mischlingen: Kreuzungen von Menschen und reptilienartigen Außerirdischen, die vor Jahrtausenden auf die Erde kamen. Um ihre humanoide Form zu wahren, sind diese Mischwesen auf den Konsum von Menschenfleisch angewiesen. Dennoch entgleiten ihnen hin und wieder unter Stress die Gesichtszüge, wodurch die wahre Reptilienfratze zum Vorschein kommt. Unvorteilhafte Fotos von Prominenten bilden für Icke den unumstößlichen Beweis seiner Thesen (25).

Nun könnte man meinen, dass Mr. Icke völlig übergeschnappt sei. Was den Nagel wohl auch auf den Kopf trifft. Trotzdem steckt mehr dahinter. Denn diese Ideen sind nicht allein auf seinem Mist gewachsen. Jahre zuvor verkündete William Bramley in seinem Sachbuch der schockierten Öffentlichkeit, dass die Erde von einem außerirdischen Geheimbund beherrscht werde. Wenn auch selber nicht reptiloider Gestalt, hatten sie doch die Schlange als Symbol auserkoren und nannten sich folgerichtig Bruderschaft der Schlange. Doch schon im Jahr 1889 hatte der Okkultautor Hargrave Jennings die Erkenntnis ausgebreitet, dass es einen mächtigen, weltumspan­nenden (wenn auch nicht außerirdischen) Schlangenkult gebe (26). Nur wenige Jahre zuvor hatte Helena Blavatsky als erste und einzige von einer Bruderschaft der Schlange geschrieben (27). Außerdem erinnern wir uns, dass ihr zufolge die Lemurier, die dritte Wurzelrasse, die zusammen mit den Dinosauriern lebte, Eier legte und auch sonst so einige reptilische Eigenarten pflegte.

Beachtlich der Einfluss der Theosophie auch auf jene, die es nicht nötig hatten, ihre Traumgespinste als reißerische Fakten zu verkaufen – auf die Schriftsteller phantastischer Literatur. So steht der Brite Rider Haggard (1856-1925) im Ruf, sich mit Theosophie beschäf­tigt zu haben. Bekannt ist sein Abenteuerroman „König Salomos Schatzkammer“, in dem er die Figur Allan Quatermain einführt, die auch für Verfilmungen aus den 80er Jahren als Grundlage diente. Noch bedeutender aber ist sein Werk „She“, bei dessen titelgebender Figur es sich um eine 2000 Jahre alte Priesterin eines vergessenen Kulturvolkes in Afrika handelt. In diesem Setting aus übersinnlichen Fähigkeiten, Ahnenrassen und verschollenen Kulturen werden theosophische Einflüsse mit Händen greifbar. Auch andere Passagen in seinem ziemlich umfangreichen Werk weisen Beziehungen zur Esoterik Blavatskyscher Prägung auf (28).

Algernon Blackwood, prominenter Verfasser von Horror- und Psi-Geschichten, hatte zeitweise sogar die Stellung eines Sekretärs der Theosophischen Gesellschaft in Toronto inne (28).

Vor allem bekannt ist Arthur Conan Doyle für seinen gnadenlos logisch operierenden Überdetektiv Sherlock Holmes. Doch daneben gibt es einen anderen Doyle, einen weniger bekannten. Einen, der sich intensiv mit Theosophie und Spiritismus beschäftigte – und dessen Hingabe so weit ging, auf ziemlich plumpe Fotofälschungen von Minielfen hereinzufallen (29). Außerdem lieferte er sich eine Privatfehde mit dem ehemals befreundeten Entfesselungskünstler Houdini, weil der sich – gewissermaßen als Mann vom Fach – erdreistete, Spiritismus als Humbug und Bühnenhokuspokus zu outen.

Zu Doyles imposantem Oeuvre gehört eine ganze Reihe von Okkult- und Science-Fiction-Romanen. Am bekanntesten darunter dürfte sein Zyklus um den schratigen Professor Challenger sein. Herausragend „The Lost World“, in dem ein von Dinosauriern bevölkertes Hochplateau im südamerikanischen Dschungel entdeckt wird. Darüber, ob Erzählelemente wie alte Rassen und Dinos als Zeitge­nossen auf theosophischen Anregungen beruhen, lässt sich nur spekulieren. In weiteren Challengergeschichten wie „Land of the Mist“ oder „When the World Screamed“ (30) geht es jedenfalls handfest spiritistisch und esoterisch zu.

„Inklings“ (Tintenkleckser) nannte sich eine Bande von distinguierten Professoren der Geisteswissenschaften an der Universität Oxford, die sich seit den 30er Jahren regelmäßig in ihrem Lieblingspub „The Eagle and Child“ trafen, um ungehemmt akademisches Seemannsgarn zu spinnen und auf Papier zu bannen. Der Bekannteste von ihnen war J.J.R. Tolkien (31). Nicht wesentlich weniger prominent der Literaturwissenschaftler C. S. Lewis, dessen populärste Romanserie kürzlich unter dem Titel „Die Chroniken von Narnia“ verfilmt wurde. Daneben verfasste er einen Science-Fiction-Zyklus, der auch Perelandra-Trilogie genannt wird. Dass Lewis ein Leben lang zwischen Christentum und Theosophie pendelte, ist diesem Werk deutlich anzumerken. Zwar spielen Raumschiffe und Reisen zu anderen Planeten eine Rolle, andererseits geht es aber akzentuiert übersinnlich zu,  indem sich die Handlung zu einem großen Teil um kosmische Evolutionen, Planetengeister, Astralreisen, böse Mächte und magische Kräfte dreht (32).

Literarisch aktiv war der Kalifornier Clark Ashton Smith (1893-1961) nur für relativ kurze Zeit. Seine gesamte zweite Lebenshälfte widmete er in seiner einsamen Hütte dem Malen und der Bildhauerei – allerdings ein wenig dilettantisch, wie ich finde. Im Gegensatz dazu stellt sein schriftstellerisches Werk einen meisterlichen Zaubertrank aus Horror, Science-Fiction und Fantasy dar. „Als Hintergrund dient Smith ein Universum voll ferner lähmender Schrecken – Dschungel voll giftiger, schillernder Blüten auf den Monden des Saturn, verruchte und groteske Tempel in Atlantis, Lemuria und in vergessenen früheren Welten sowie feuchte Sümpfe mit gefleckten tödlichen Pilzen in gespenstischen Ländern jenseits der Erde“. So Brieffreund und Bewunderer H. P. Lovecraft in seinem Essay „Die Literatur der Angst“ (33).

Mit den quasi-religiösen Implikationen der Theosophie konnte Smith nicht viel anfangen, doch erwähnte er in einem Brief an Lovecraft, dass er deren Mythologie so einiges an Anregungen zu verdanken habe. Sein Zyklus um Poseidonis, einer Insel des atlantischen Kontinents mitsamt seiner arischen Bewohner, folgt theosophischen Quellen (34). Bei denen hatte er sich zudem die Idee für Hyperborea, dem Schauplatz eines anderen Zyklus, geborgt.

Zu den Brieffreunden Lovecrafts (und Smiths) gehörte auch Robert E. Howard aus Texas. Obwohl er sich ein scharfes Muskeltraining verordnet hatte, wirkt er auf den erhaltenen Fotos immer ein wenig weich und pummelig. Etwas, was einem Arnold Schwarzenegger wohl kaum nachgesagt werden kann. Und das dürfte der Haupt­grund gewesen sein, warum dem österreichischen Wahlamerikaner die Filmrolle des „Conan“ zufiel. Bei diesem Conan aus Cimmerien handelt es sich um Howards wichtigste literarische Figur. Seine Geschichten bestanden vor allem in Fantasy vom „Schwert-und-Magie“-Typ, die in fernen geschichtlichen und vorgeschichtlichen Epochen spielten und in denen sich kraftstrotzende Barbaren mit der Streitaxt in der Hand den Weg zum kleinen Glück bahnten. Allerdings hat er auch Erzählungen hinterlassen, bei denen fremde Planeten die Kulisse abgeben. Außerdem ist seine Figur Solomon Kane als Angehöriger der viktorianischen Epoche mehr oder minder Zeitgenosse. Wenn er auf verlorene Stämme und Kulturen stößt, befindet er sich im Übergangsfeld von Fantasy und Science-Fiction (35). Howards Vater las theoso­phi­sche Schriften und war als Landarzt „alternativen“ Methoden zugetan. Auch Robert E. Howard selber hatte einige theosophische Lieblingsautoren (36). Nehmen wir noch die Korrespondenz mit Lovecraft und Smith hinzu, lässt sich konstatieren, dass er in einer ausgesprochen theosophischen Atmosphäre atmete. Seine Geschichten um Atlantis und Lemuria, alten Rassen und üblen Zauberern legen Zeugnis dafür ab.

Verfügt Robert E. Howard Jahrzehnte nach seinen Tod noch über eine treue Fangemeinde, dann muss der folgende Autor zu den Megastars des Genres gezählt werden. Dauerhaft ins Gedächtnis der populären Literatur eingegangen ist Edgar Rice Burroughs (1875-1950) als Schöpfer Tarzans, Herr des Dschungels. Viel Erfolg hatte er daneben mit seiner Science-Fiction-Serie um die Hauptfigur Jim Carter, der nach einer Ohnmacht feststellen muss, dass er sich mittlerweile auf dem Mars befindet, wo er zünftige Abenteuer zu bestehen hat.

In den 50er Jahren machte sich Fritz Leiber, ein weiterer Grandseigneur der phantastischen Literatur, daran, den Inspirationen für Burroughs Werk auf den Zahn zu fühlen. Fündig wurde er bei den Theosophen. Für die unterschiedlichen marsia­nischen Rassen, von denen eine über zwei Armpaare verfügt, gibt es Entsprechun­gen bei Blavatsky. Und in der geheimnisvollen Energie, mit der die Marsianer ihre Raumschiffe bewegen, lässt sich unschwer die Vril-Kraft identifizieren. Ähnlichkeiten bestehen auch hinsichtlich Gedanken- und Astralreisen. Zudem resoniert in der untergehenden hohen Zivilisation der „roten“ Marsianerrasse der theosophische Atlantismythos (37). Bemerkenswert an dieser Analyse nicht nur die Affinität Burroughs zur Theosophie, sondern auch Leibers Kennerschaft – ein Autor immerhin, der allen Sätteln der Phantastik gerecht wurde: in der Fantasy vor allem durch seinen legendären Grauen Mauser, im Horror zum Beispiel durch „Conjure Wife“ (verfilmt als „Hypno“/“Night of the Eagle“) oder in der Sci-Fi mit „Wanderer im Universum“.

Nachdem der Name bereits mehrfach genannt wurde, ist es an der Zeit, einen genaueren Blick auf H. P. Lovecraft zu werfen. Literarisch gesehen gehören seine Erzählungen zu jenen wunderlichen Werken, bei denen die Einzelheiten falsch sind, das Gesamtergebnis aber imponiert. In seinen Stories spielen Frauen und Erotik eine geringere Rolle als in einem Mönchsorden, die Plots sind oft durchsichtig, simpel und ohne Raffinesse. Dabei bedient er sich einer bewusst antiquierten Sprache, deren überrissenes Vokabular wie „blasphemisch“ und „monströs“ formelhaft rezitiert wird. Seine rassistischen Ausfälle machen sprachlos, und seine auf die Spitze getriebene Angst- und Ekelbereitschaft vermitteln das Gefühl, der beklemmenden Ausstrahlung eines hoch neurotischen Menschen ausgesetzt zu sein. Und dennoch gibt es kaum einen Autor, dessen Einfluss so weit reicht: von der Präastronautik à la Däniken, die ihre Herkunft zu leugnen versucht, bis zur offenen Bewunderung eines Stephen King oder John Carpenter.

Doch auch Lovecraft hatte Vorläufer. Dass er von Haus aus Atheist und naturwissen­schaftlicher Materialist war, hinderte ihn nicht, allerlei dämonische und phantastische Geschichten zu erzählen. Handelte es sich zunächst vor allem um Okkult- und Schauergeschichten, nimmt im Werk nach und nach das eine große Thema Gestalt an: Der Cthulhu-Mythos, der Bericht von fremdartigen Rassen aus dem All, die vor Urzeiten die Erde besiedelten, gigantische Städte gründeten und deren Hinter­lassenschaft noch immer für unerfreulichen Spuk sorgt (38).

Aus seinem umfangreichen Schriftverkehr geht hervor, dass er diverse theoso­phische Schriften kannte und sie bei seiner eigenen Produktion für ausgesprochen hilfreich hielt. Wenn in seinen Erzählungen fremde außerirdische Rassen auf lemurischen und atlantischen Kontinenten, Raumschiffe von der Venus und die mythische Stadt Shamballah (aus der auch die Shangri-La-Legende hervorging) auftauchen, ist es kein großes Rätsel, woher diese Ideen stammen (39).

In seinen „Bergen des Wahnsinns“ vergleicht er außerdem die antarktischen Ruinenstädte mit den tibetischen Landschaftsbildern Nicholas Roerichs, einem russischen Künstler und Himalajareisenden, der eine theosophische Vereinigung gründete und die Lehre von Agarta verbreitete, dem mythischen unterirdischen Reich im Tibet (40).

Vor dem zweiten Weltkrieg gab es, ein wenig in Vergessenheit geraten, auch in Deutschland eine blühende populäre bis triviale Science-Fiction-Szene. Wie der Soziologe Manfred Nagl anmerkt, sticht diese Literatur nicht gerade durch einen lupenrein technisch-naturwissenschaftlichen Charakter hervor, sondern enthält starke okkult-phantastische Elemente. Ein Trend, der nach Nagl aus den USA herüber geschwappt sei. Auch dort gehörten zu Beginn des 20. Jahrhunderts fast 50% der als Science Fiction gelisteten Texte in die übersinnlich-mystische oder pseudohistorische Kategorie (8).

In Deutschland drängten sich neben Theosophie, Hohlwelt- und Welteislehre massiv Rassentheorien ins Genre. Und so erzählen die Romane nicht nur von kühnen Luft- und Raumfahrtpionieren, sondern auch von bösen Zauberern, Ätherwesen, kosmischen Evolutionen, übersinnlichen Fähigkeiten, reinen arischen Rassen, Welt­un­tergängen, Polverschiebungen und immer wieder von Atlantis.

Atlantismythos und Arierideologie besonders eng verwoben und auf die propagan­distische Spitze getrieben hat Edmund Kiß (41) in seiner Atlantistetralogie (1931-1937). Zur Belohnung hätte ihn Heinrich Himmler um ein Haar zum Expeditions­teilnehmer ernannt, wäre nicht der Krieg dazwischen gekommen. Auch Hans Dominik, bekanntester deutscher SciFi-Autor jener Tage, den es in seinen Geschichten neben technischen Utopien auch immer wieder ins Parapsychische lockte, versuchte sich am Atlantisthema.

Die bekannteste Sci-Fi-Heftreihe vor dem zweiten Weltkrieg trug den untergegan­genen Kontinent sogar im Titel: „Sun Koh – Der Erbe von Atlantis“. Die Hefte erschienen in mehreren Auflagen bis 1945. Ab 1958 wurden sogar wieder Neubearbeitungen aufgelegt. Mastermind hinter dem Ganzen war Paul Alfred Müller, zu dessen gigantischem Ausstoß auch eine Reihe von „Kommissar X“-Titeln gehören. Zur Illustration, wes Geistes Kind er war, ein kurzes Wiki-Zitat: „Alle Nachkriegsausgaben wurden um rassistische, antisemitische oder allgemein das Deutschtum verherrlichende Ausdrücke gekürzt“ (42). Nicht nur, dass Sun Koh in vielerlei Hinsicht das große Vorbild für „Perry Rhodan“ abgab – beinahe hätte sich auch eine persönliche Kontinuität ergeben. Denn ursprünglich war Müller als Mitautor vorgesehen. Ein Vorhaben, das daran scheiterte, dass er seinen  verschrobenen Hohlweltglauben in die neue Serie einzubringen gedachte (43).

Dennoch lässt sich in der Perry-Rhodan-Reihe Kontinuität auf breiter Front feststellen: nicht nur in Bezug auf Sun-Koh oder der allgemeinen esoterischen Tendenz der Zwischenkriegszeit-SciFi, sondern auch zum munter sprudelnden Quell der Theosophie.

So finden sich im Perry-Rhodan-Universum außerirdische Besucher in der Vorzeit nebst untergegangenen Kulturen und Kontinenten, die sich gut theosophisch Atlantis und Lemuria nennen. Bei Atlan, dem letzten Überlebenden der atlantischen Zivilisation, handelt es sich um eine imposante, quasi-arische Figur. In gewisser Weise gehört er zu den Wächtern von den Sternen, die ihre schützende Hand über die Menschheit halten. Zu denen zählt auch das Geistwesen „Es“ auf dem Planeten Wanderer. Komplette Planeten, die eine Evolution ins rein Geistige durchlaufen, stellen nun aber Theosophie in Reinkultur dar. Und es finden sich Wesen mit parapsychischen Fähigkeiten, „Mutanten“, die Gedanken lesen (Telepathie), ohne Zeitverlust von einem Ort zum anderen springen (Teleportation) oder Gegenstände mit rein geistiger Kraft bewegen können (Telekinese).

Auch wenn wir damit der deutschen Serie den Rücken kehren, lohnt es sich, ein wenig bei diesen „Sonderbegabungen“ innezuhalten. Berichte und Vorstellungen von Menschen mit übernatürlichen Fähigkeiten gibt es seit eh und je: Zauberer, die die Dinge in ihrer Umwelt nach Belieben manipulieren konnten, Poltergeistphänomene, schwebende Gestalten – schon Jesus Christus konnte über dem Wasser laufen (44). Von Hellsehern und Gedankenlesern bis zu schwebenden Jungfrauen sticht die enge Beziehung zu einer Vielzahl von Kirmesattraktionen ins Auge. Im 19. Jahrhundert formierte sich die Parapsychologie, die die Begeisterung für abseitige Phänomene in ein wissenschaftliches Gewand zu kleiden versuchte. Am erfolgreichsten noch dürfte sie bei der Umbenennung der Phäno­mene gewesen sein, wie sie heutzutage mit ihren schicken griechisch-lateinischen Bezeichnungen einherschreiten.

Bekanntermaßen waren die Beziehungen zwischen Parapsychologie und Theosophie außerordentlich eng: Nicht nur, dass Mme Blavatsky selber als potentes Medium galt. Gleichzeitig umfasste ihre Lehre eine Theorie der Psi-Kraft. Einem Online-Wörterbuch der Science-Fiction-Fachbegriffe zufolge ist der Ausdruck Telepathie direkt von Parapsychologie und Theosophie ins phantastische Genre gesickert (45).

Allerdings reichen die Zusammenhänge noch tiefer. In ihrer „Geheimlehre“ verkündet Blavatsky, dass sich eine neue Stufe menschlicher Evolution zuerst mit der Geburt anomaler, parapsychisch begabter Kinder ankündige. Faszinierenderweise taucht diese Idee gleich in einer ganzen Reihe von teilweise sehr einflussreichen SciFi-Romanen auf. Sehr bekannt wurde „Slan“ von A. E. van Vogt, der eng mit Hubbard zusammenarbeitete und zu den Mitbegründern von Scientology gezählt werden kann. Als weitere Titel zu nennen wären George Smith: Das Geheimnis der Wunderkinder, H. L. Lawrence: Kinder des Lichts oder Lewis Padget: Die Mutanten (8). Einen besonders großen Erfolg erzielte die Verfilmung von Wyndhams „Midwich Cuckoos“, die unter dem Titel „Das Dorf der Verdammten“ in den deutschen Kinos lief. 1995 machte sich John Carpenter sogar an eine Neuverfilmung.

Den erstaunlichsten Fall aber stellt Arthur C. Clarke dar, der zu den absoluten Granden der britischen Science-Fiction gehört. Besonders in seinen frühen Werken erweist sich der studierte Mathematiker und Physiker als vor allem technisch-naturwissenschaftlich orientierter Autor. Darüber hinaus trat er immer wieder als scharfer Kritiker von Parapsychologie und Esoterik auf (46). Und dennoch stammt aus seiner Feder der Roman „Childhood’s End“ (dt. „Die letzte Generation“).

Erzählt wird die Invasion der außerirdischen Superzivilisation der Overlords, deren Riesenraumschiffe eines Tages über den Hauptstädten der Erde erscheinen. Die Overlords, die die Geschicke der Menschheit seit langem beobachten, führen mit Hilfe ihrer überlegenen Technologie den Planeten in eine Phase des Friedens und Wohlstands. Nach fünfzig Jahren endlich zeigen sie sich den Menschen in ihrer körperlichen Gestalt – die mittelalterlichen Teufelsdarstellungen erstaunlich ähnlich ist. Es wird offenbar, dass sie die Absicht haben, die Menschheit mit einem rein geistigen Superwesen, dem „Overmind“, zu verschmelzen. Als auf der Erde immer mehr Kinder mit parapsychischen Fähigkeiten geboren werden, kündigt sich der Zeitpunkt an, zu dem die Erde physisch zu existieren aufhören und eine neue Existenzstufe erreicht wird (47).

Wenn sich in einem phantastischen Roman eine einzelne thematische Überschneidung zu theosophischem Gedankengut findet, ließe sich das als Zufall abtun und müsste nicht als Beeinflussung interpretiert werden. Aber hier? Die Existenz von Geistwesen. Kosmische Wächter. Wächter, die – es sei ausdrücklich gesagt – in der Gestalt des Teufels auftreten. Wir erinnern uns: Nach theosophischer Lesart hat auch Luzifer eine derart positive Rolle inne. Geistige Evolutionen: Nicht nur von Rassen, sondern von ganzen Planeten. Kinder mit paranormalen Fähigkeiten als Künder eines neuen Evolutionsabschnitts. Immer noch Zufall?

Nun wäre es ja möglich, dass sich Erzskeptiker Clarke in ironisch-parodierender Weise der Theosophie bedient hat. Das ist aber nicht sehr wahrscheinlich, weil der Ton des Romans zu ernst, zu unironisch gehalten ist. Und es gibt einen noch schwerwiegenderen Grund. Von Clarke stammt auch der Roman „2001 – Odyssee im Weltraum“, der von Stanley Kubrick verfilmt wurde und bei dem es sich möglicherweise um den einflussreichsten Science-Fiction-Film aller Zeiten handelt.

Auch hier die Themen außerirdische Zivilisationen als Begleiter und planetare Evolutionen. Mit Symbolik geradezu überfrachtet die letzte Einstellung – wenn neben dem Bild der vom Weltall aus gesehenen Erde in gleicher Größe, in gleicher Kugelgestalt und vom selben ätherischen Schimmer umhüllt die Fruchtblase mit dem Ungeborenen auftaucht. Und so mag es sein, dass es sich beim stillen rätselhaften Lächeln des Fötus um den letzten Gruß der alten Hochstaplerin Helena Blavatsky handelt.

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Literatur

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  2. Wilson, Colin (1982): Das Okkulte. Berlin u. Schlechtenwegen.
  3. Judge, William Q. (2004): Das Meer der Theosophie. Theosophischer Verlag GmbH.
  4. http://de.wikipedia.org/wiki/Wurzelrasse
  5. http://www.scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2011/04/lemuria-wenn-wissenschaft-zu-esoterik-wird.php
  6. Sünner, Rüdiger (2001): Schwarze Sonne. Freiburg.
  7. http://de.wikipedia.org/wiki/Vril-Gesellschaft
  8. Nagl, Manfred (1972): Science Fiction in Deutschland. Tübingen.
  9. http://de.wikipedia.org/wiki/Vimana
  10. http://www.ariplex.com/scepticon/Worterbuch/Atlantis/atlantis.html
  11. http://www.theosophy-nw.org/theosnw/world/anceur/eu-john.htm
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  15. http://hermetic.com/dionysos/dzyan.htm
  16. http://de.wikipedia.org/wiki/L._Ron_Hubbard
  17. http://www.jasoncolavito.com/1/post/2012/1/on-scientology-and-science-fiction-where-fiction-meets-religion.html
  18.  http://www.servantsofthelight.org/aboutSOL/bio-dion-fortune.html
  19. Szepes, Maria (1995): Academia occulta. Die geheimen Lehren des Abendlandes. München.
  20. http://everything2.com/title/George+Adamski
  21. http://en.wikipedia.org/wiki/George_Adamski
  22. http://de.wikipedia.org/wiki/Vril-Gesellschaft
  23. http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-42645391.html
  24. http://www.jasoncolavito.com/secret-history-of-ancient-astronauts.html
  25. http://de.wikipedia.org/wiki/David_Icke
  26. http://www.jasoncolavito.com/1/post/2012/09/upcoming-ancient-astronaut-symposium-reptilians-inflated-credentials-and-high-prices.html
  27. http://www.jasoncolavito.com/1/post/2011/10/review-of-ancient-aliens-s03e12-aliens-and-deadly-cults.html
  28. http://www.austheos.org.au/tsia-article-novelists-and-ancient-wisdom.html
  29.  http://www.heise.de/tp/artikel/31/31987/1.html
  30. http://en.wikipedia.org/wiki/When_the_World_Screamed
  31. http://de.wikipedia.org/wiki/Inklings
  32. http://www.crossroad.to/articles2/006/narnia-trouble.htm
  33. Lovecraft, H.P. (1995): Die Literatur der Angst. Frankfurt a.M.
  34. http://www.blackgate.com/the-fantasy-cycles-of-clark-ashton-smith-part-iv-poseidonis-mars-and-xiccarph/
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  38. http://de.wikipedia.org/wiki/Cthulhu-Mythos
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  46. http://de.wikipedia.org/wiki/Parapsychologie
  47. http://de.wikipedia.org/wiki/Die_letzte_Generation

Der Antarktiskomplex – von E.A. Poe bis heute

Die Antarktis zählt nicht gerade zu den touristischen Top-Destinations. Auf Schriftsteller scheint sie aber eine mächtige Anziehungskraft auszuüben.

Zu den faszinierendsten Traditionslinien der Phantastik gehört, was ich den Antarktiskomplex nennen möchte. An seinem Anfang steht ein bekannter Name (es wird nicht der letzte sein). Im Jahr 1838 veröffentlichte Edgar Allan Poe seine einzige längere Erzählung: Seltsame Erlebnisse des Arthur Gordon Pym aus Nantucket (The Narrative of Arthur Gordon Pym of Nantucket). Was beginnt wie ein Abenteuerroman über einen jungen Mann, der seine bürgerliche Existenz der Sehnsucht nach der See opfert, entwickelt sich zu einer Irrfahrt an die Grenzen menschlicher Fassungskraft. Nach einer blutrünstigen Meuterei und der Gefangennahme durch einen Stamm, der ähnlicher Mordlust frönt, führt Arthurs Odyssee immer weiter Richtung Süden, der Antarktis entgegen. Entgegen aller Erwartung wird die Strömung wärmer und wärmer – bleicher Nebel fällt, das Boot wird von einem Ascheregen bedeckt. Während es unaufhaltsam in den Sog eines Wasserfalls gerät, wird es von Vögeln umschwirrt, die einen grausigen Ruf ausstoßen, der wie „Tekeli-li“ klingt. Vor ihnen erhebt sich eine gigantische menschliche Gestalt mit reiner schneeweißer Haut. Hier bricht Arthurs Bericht ab.

Die rätselhafte Erzählung mit ihrem noch rätselhafteren Ende hat viele Leser in den Bann geschlagen. Einer von ihnen war Jules Verne, dem das offene Ende vermutlich die erlösende Entspannung versagte, so dass er sich veranlasst sah, eine klärende Fortsetzung zu verfassen: Die Eissphinx (1897). Der Roman handelt von einer Rettungsexpedition für Arthur, die den Gesuchten allerdings nur noch tot bergen kann. Im Geiste des pausbäckig optimistischen Materialismus des 19. Jahrhunderts beseitigt die Geschichte alles phantastisch Rätselhafte auf geradezu antiseptische Weise. So handelt es sich bei der weißen Gestalt um eine natürliche Fels- und Eisformation, die frappante Ähnlichkeit zur ägyptischen Sphinx aufweist. Ihre einzige unheimliche Eigenschaft besteht in einem ungewöhnlich starken Magnetismus – jener Kraft, deren Gefangener Arthur wurde (hier lässt sicherlich das alte Sagenmotiv vom Magnetberg grüßen).

Ein weiterer Angehöriger des literarischen Milieus erlag der Faszination des Stoffs. Jemand, der Optimismus nicht gerade im Wappen trug. 1936, ein Jahr vor seinem Tod, veröffentlichte H.P. Lovecraft im Astounding-Magazin sein letztes längeres Werk: Berge des Wahnsinns.

Eine wissenschaftliche Antarktisexpedition stößt auf die gigantischen architektonischen Hinterlassenschaften einer außerirdischen Spezies, die vor Jahrmillionen die Erde besiedelte. Diese „Älteren Wesen“ hatten sich eine Sklavenrasse erschaffen, die sie mit Hilfe hypnotisch-telepathischer Befehle kontrollierten. Erzeugt wurden die Kreaturen, Shoggothen genannt, aus künstlichem Protoplasma, das ihnen die Fähigkeit verlieh, ihre Gestalt zu verändern und sich nach Bedarf zusätzliche Glieder wachsen zu lassen.

Als zwei Expeditionsmitglieder nach einer Exkursion ins Lager zurückkehren, finden sie schwere Verwüstungen, die Leichen von Kollegen und einen toten Schlittenhund vor. Außerdem sprechen die Spuren dafür, dass einige der Älteren Wesen nicht nur aufgetaut, sondern gleich auch wiedererweckt wurden. Am Ende taucht aus einem Abgrund ein riesenhafter monströser Shoggothe auf und verfolgt die beiden, die sich nur knapp mit dem Flugzeug retten können. Bei seiner Jagd stößt das Wesen eigenartige Rufe aus, die ungefähr klingen wie „Tekeli-li“. Fügt man hinzu, dass Lovecraft auch an anderen Stellen ausdrücklich Bezug auf Poes Arthur Gordon Pym nahm, wird ersichtlich, wie viel diese Geschichte ihrem Vorgänger verdankt.

Von diesem Punkt aus dauerte es nur zwei Jahre, bis der Stab weitergereicht wurde. Gerade einmal 28 Jahre alt war John W. Campbell jr., als er 1938 seinen letzten Science-Fiction-Roman verfasste: „Who goes there?“ Er handelt von einer Expedition zur Antarktis, die dort eigenartige magnetische Phänomene untersucht. Dabei stößt sie auf ein uraltes außerirdisches Raumschiff, das beim Versuch der Bergung vernichtet wird. Nur ein einziges eingefrorenes Besatzungsmitglied kann geborgen werden. Als der Alien in der Station aufgetaut wird und ins Leben zurückkehrt, beginnt der Alptraum: Das Wesen – von außerordentlich feindseliger Gesinnung – offenbart sich als Formwandler, der nach Belieben die Gestalt von Hunden und menschlichen Expeditionsteilnehmern annehmen kann. Außerdem ist er in der Lage, auf telepathischem Wege Zwang auszuüben. Nach einer Kette von Morden, Paranoia und falschen Fährten gelingt es, das Monster zu vernichten.

Hinter dem frühen Ende von Campbells schriftstellerischer Laufbahn verbirgt sich keine Tragödie. Im Gegenteil. Im selben Jahr noch wird er Herausgeber des Astounding-Magazins und avanciert in den folgenden Jahrzehnten zu einer der einflussreichsten Gestalten der amerikanischen Science-Fiction. Wir erinnern uns, dass nur zwei Jahre vorher Lovecraft in eben diesem Magazin seine „Berge des Wahnsinns“ veröffentlichte. Auch sonst ist die Familienähnlichkeit beider Werke unübersehbar. Schauplatz ist jeweils die Antarktis, bei den Protagonisten handelt es sich um Wissenschaftler; daneben geht es um Außerirdische, die vor Urzeiten auf die Erde gelangt sind. In beiden Fällen nimmt das Schicksal seinen Lauf, als die vom Eis umschlossenen Wesen aufgetaut und reanimiert werden. Campbells Alien teilt als Formwandler wichtige Merkmale mit Lovecrafts Shoggothen. Auch andere Versatzstücke wie Schlittenhunde und telepathische Befehle spielen in beiden Erzählungen eine Rolle. Ganz am Rande: Dass Campbell seine Expedition magnetische Phänomene erforschen lässt, mag damit zusammenhängen, dass von vornherein eine enge Verbindung zwischen Südpol und Magnetismus besteht. Möglicherweise handelt es sich aber auch um eine Reminiszenz an Vernes Eissphinx.

Campbells Geschichte wurde nicht nur populär, sondern einige Jahrzehnte später sogar in den erlauchten Kreis der einflussreichsten Science-Fiction-Werke gewählt.

So konnte es nur eine Frage der Zeit sein, bis der Stoff verfilmt wurde. An diese Aufgabe machten sich 1951 Starregisseur Howard Hawks – diesmal als Produzent – und Christian Nyby als Regisseur. Das Ergebnis nannte sich „Das Ding aus einer anderen Welt“ (The Thing from Another World) und steht im Ruf, einer besten SciFi-Filme der 50er, vielleicht sogar aller Zeiten zu sein. Gesagt sei aber, dass sich der Streifen nicht übermäßig vorlagengetreu gebärdet. Zum Einen wurde die Handlung vom Süd- an den Nordpol verlagert. Außerdem ist das Ufo nicht schon seit Jahrmillionen im Eis verborgen, sondern wird bei seiner Landung – oder seinem Absturz – beobachtet. Das große präastronautische Potenzial, das bei Lovecraft noch eine so wichtige Rolle spielte, wird nicht angezapft, sondern die Geschichte näher an die seinerzeit heftig grassierende Ufo-Hysterie herangerückt. Außerdem handelt es sich beim Alien um keinen telepathischen Formwandler, sondern um ein kompaktes, äußerlich humanoides Wesen aus – na, ja, Fleisch und Blut lässt sich schlecht sagen, eher Zellulose. Denn es besteht aus pflanzlichem Material. Allerdings scheinen zu seiner Abstammungsreihe vor allem fleischfressende Pflanzen zu gehören. Als sein Arm, der ihm bei seiner Flucht von den Schlittenhunden abgerissen wurde, mit Blut beträufelt wird, beginnt er wieder zu leben. Welches Schicksal der Extraterrestrier der Stationsbesatzung angedeihen zu lassen gedenkt, wird sich jeder ausrechnen, der eins und eins zusammenzählen kann (hier könnte man einen prominenten Slogan der Filmindustrie paraphrasieren zu „Vampirismus sells!“). Insgesamt ist der Film derart stark getränkt von der antikommunistischen Invasionsparanoia der McCarthy-Ära, dass er sich am Ende sogar zur Ermahnung aufschwingt: „Watch the Skies!“. Trotzdem ist der Film so spannend und schnörkellos erzählt, dass er immer noch perfekte schwarzweiße Popcorn-Unterhaltung bietet.

Als eine Art seitenverkehrter Spiegelung dazu lässt sich ein wesentlich weniger bekannter Film betrachten: „Horrorexpress“ aus dem Jahr 1972. Gedreht wurde das Opus in Spanien – eine Filmnation, die in jenen Jahren weniger für hochqualitativen denn für bluttriefenden Horror bekannt war. Doch oh Wunder! Mit Christopher Lee und Peter Cushing in den Hauptrollen, unterstützt von Mengen an Plüsch und Rüschen, entwickelt der Streifen zehnmal mehr „Hammer Studio“-Atmosphäre als die zeitgleichen Hammer-Produktionen selbst. Und wer schon immer einmal Telly Savalas alias Kojak in der Rolle eines männlichkeits- bzw. testosteronstrotzenden Kosakenhauptmanns bewundern wollte, wird vollends auf seine Kosten kommen.

Die Story spielt im Jahr 1906, als der britische Anthropologe Saxton in der Mandschurei einen perfekt erhaltenen Affenmenschen findet – eingefroren in ewigem Eis. Mitsamt seinem kostbaren Fund begibt sich der Forscher auf der Transsibirischen Eisenbahn auf die Rückreise. Während der Fahrt taut das Wesen auf (wenn auch nicht emotional), macht sich auf die Socken und befördert mehrere Mitreisende ins Jenseits, indem es ihnen ihr gesamtes Wissen aus dem Gehirn saugt – wobei es ihr Denkorgan glatt und windungsfrei wie ein Babypopo zurücklässt. Doch auch als die äffische Kreatur über den Haufen geschossen wird, hat es des Treibens kein Ende. Als Saxton die Augen der toten Kreatur untersucht, entdeckt er einige unscharfe Erinnerungsbilder auf der Netzhaut. Und hier nun hat der Film seine kosmischen Momente. Es sind Bilder der Erde vom Weltall aus gesehen und Schnappschüsse von Dinosauriern! Und damit ist der Fall klar: Die Reisegesellschaft hat es mit einem gestaltlosen Außerirdischen zu tun, der vor Jahrmillionen auf der Erde strandete, wobei der zottelige Affe lediglich die zweifelhafte Ehre hatte, seinen ersten Wirt abzugeben. Jetzt aber springt das fluide Wesen zu Tarnungszwecken von Fahrgast zu Fahrgast, wobei es sich bei Bedarf aus deren Hirnen das Wissen von Schaffnern, Trickbetrügerinnen, Raketeningenieuren und fanatischen Mönchen downloaded. Es sei so viel verraten, dass dem kosmischen Unhold am Ende doch noch ein Bein gestellt werden kann.

Wenn er auch beim Setting – Transsib statt Antarktis – stark von der Vorlage abweicht, hält sich der übrige Plot enger an Campbells Vorgaben als das Ding aus einer anderen Welt.

Das nächste Glied in der Kette bedarf etwas differenzierterer Betrachtung. „Alien – das unheimliche Wesen aus dem All“ (1979) gilt als einer der ganz großen Klassiker des Science-Fiction-Genres. Das allerdings ist kein Grund, vor Ehrfurcht zu zerfließen; denn offen gesagt handelt es sich um eine Promenadenmischung, die ihre Existenz massivem Ideenklau und der orgiastischen Vereinigung von ungefähr einem Dutzend populärer Science-Fiction-Streifen verdankt. Wer sich ein wenig mit der Geschichte des Genres auskennt, begegnet jede Menge alter Bekannter: Zum Beispiel „Andromeda – tödlicher Staub aus dem All“ (Forschung an außerirdischen Lebensformen zu militärischen Zwecken), „2001 – Odyssee im Weltall“ (unerfreuliche Dialoge mit dem Supercomputer), „Planet der Affen“ (künstlicher Tiefschlaf während des Raumflugs) oder „Planet der Vampire“ (eine wahre Fundgrube vom Warnsignal über uralte Raumschiffwracks, runde Heckflossen bis hin zum Skelett eines außerirdischen Raumfahrers). Daneben gelang es dem SciFi-Autorenurgestein A. E. von Vogt, das Gericht davon zu überzeugen, dass der Plot in nicht unerheblichem Umfang auf seinen Roman „Die Expedition der Space Beagle“ zurückging, was mit 50.000 Dollar honoriert wurde.

Vor allem aber zwei Filme sind es neben „Planet der Vampire“, die ihr Erbgut an „Alien“ weitergegeben haben. Einer von ihnen ist „Das Ding aus einer anderen Welt“, der oben schon zur Sprache kam. Hier wie dort dreht es sich um einen einzelnen Außerirdischen, der in einem klaustrophobisch engen und hermetisch abgeriegelten Rahmen sein Unwesen treibt. Große Ähnlichkeit besteht auch im Kamerablick auf Wissenschaftler, die die organischen Überreste des Alien untersuchen. Als weitere Übereinstimmungen ließe sich nennen, dass Geigerzähler oder ähnliche Messgeräte benutzt werden, um das Wesen aufzuspüren. Eine Rolle spielt jeweils auch ein Feld von Alien-Keimlingen, in denen es unheimlich und schemenhaft pulsiert. Zum Zuge kommen daneben quertreibende Wissenschaftler, die sich ein Bein ausreißen, um die Vernichtung des Außerirdischen zu verhindern.

Starken Einfluss hatte „Das Ding“ wiederum auf den zweiten wichtigen Vorgänger: „It! The Terror from Beyond Space“ aus dem Jahr 1958. Ein Streifen, bei dem ich trotz einiger Anstrengungen noch nicht einmal herausfinden konnte, ob es jemals eine deutsch synchronisierte Verleihfassung gab. „It!“ kann geradezu als frühe Billigversion von „Alien“ aufgefasst werden. Hier treibt sich das Monster tatsächlich in einem Raumschiff herum, wobei es seinen Rückzugsort im Frachtraum findet. Allenthalben öffnen und schließen sich zischend Schiebetüren. Sogar eine Kantinenszene kommt vor (allerdings ganz ohne „chestbuster“). Auf der Suche nach dem Monster zwängt man sich durch enge Schächte. Nicht zuletzt kommen zur Gefahrenabwehr Flammenwerfer zum Einsatz. Der Clou besteht aber darin, das Monster mit dem guten alten Überdrucktrick ins Weltall zu expedieren.

Wie man sieht, stellt „Alien“ eine ziemliche Patchworkarbeit dar. Der Gerechtigkeit zuliebe sei aber festgestellt, dass das ideelle Raubgut auf absolut geniale Weise zusammengepuzzelt und ins Bild gesetzt wurde. Genial auch der Soundtrack von Jerry Goldsmith und die – gegen massive Widerstände durchgesetzte – Idee des Regisseurs Ridley Scott, die Hauptrolle einer Frau anzuvertrauen (für die anfänglich noch männliche Rolle Ripleys war sogar Paul Newman im Gespräch). Auf jeden Fall ist der Film derart eng mit dem Antarktiskomplex verwoben, verbandelt und verfilzt, dass er meiner Meinung selber dazu gehört. Nicht unerwähnt bleiben soll auch, dass ihm eine Reihe von Kritikern eine ausgesprochen gelungene Lovecraft-Atmosphäre zusprechen.

Drei Jahre später kehrte Kultregisseur John Carpenter gewissermaßen zu den Ursprüngen zurück, als er Campbells „Who goes there?“ neu verfilmte. In gewisser Weise hält sich seine Version enger an die literarische Vorlage als „Das Ding“ aus dem Jahr 1951, indem der Alien als wahrer Verwandlungskünstler von Formwandler dargestellt wird. Allerdings liegt hier auch die große Schwäche. Denn der Streifen bordet geradezu über vor Mutations-, Transformations-, Splatter-, Innerei- und Tentakeleffekten, so dass der Zuschauer in einem Dauerzustand irgendwo zwischen Ekel und Ermüdung gefangen gehalten wird. Daneben hat sich Carpenter allerdings auch eine interessante neue Plotidee einfallen lassen: Die amerikanischen Forscher sind nicht die Ersten, die auf das Monster stoßen, sondern erkunden zunächst einmal eine verwüstete norwegische Station in der Nachbarschaft, in der sie nur noch Leichen finden – vor allem einen eigenartigen, halb verbrannten Kadaver, den sie zwecks Befriedigung wissenschaftlicher Neugier in die eigene Station mitnehmen … Heute gilt der Film – besonders unter Tentakelliebhabern, möchte man vermuten – als Kult. An der Kinokasse erlebte er allerdings erst einmal sein Cannae. Kein Wunder, musste er doch gegen den wesentlich niedlicheren „E.T.“ antreten.

2011 kam „The Thing“ (deutscher Titel: „The Thing“) unter der Regie von Matthijs van Heijningen Jr. (kenn ich nicht) heraus. Ein Film, der so etwas wie ein Prequel zu Carpenters Arbeit darstellt und die Vorgänge in der norwegischen Station schildert. Da ich bisher nur einige Ausschnitte kenne, muss ich mich auf den allerersten Eindruck beschränken, der da lautet: Die Trickeffekte dürften vom Feinsten und auf dem neuesten Stand sein. Außerdem scheint die Antarktis – im krassen Gegensatz zu Carpenters Version – mittlerweile Frauensache geworden zu sein. Wobei es sich in Sonderheit um überraschend attraktive Frauen handelt, die sich von der Einsamkeit bei Polarnacht und minus fünfzig Grad angezogen fühlen. Dem Auge scheint der Streifen zumindest so einiges zu bieten.

Wesentlich signifikanter war da im Jahr 2010 die Ankündigung von Guillermo del Toro („Mimic“, „Hellboy“, „Pans Labyrinth“), Lovecrafts „Berge des Wahnsinns“ neu zu verfilmen. Dummerweise erklärte er das Projekt kurze Zeit später für abgebrochen. Trotzdem bin ich guter Dinge, dass irgendjemand den Faden wieder aufnehmen wird. Bis dahin gilt: Don’t keep watching the sky, sondern immer schön auf den fließenden Verkehr achten!

 

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