Theo, Sophie und die Wurzelrassen

Über ein mächtig okkultes Fundament der Science Fiction

Zu den unausrottbaren Vorurteilen zählt, dass Science Fiction in Literatur verpackte Wissenschaft sei. In einem erstaunlichen Umfang ist das schroffe Gegenteil wahr: Wohl kaum hat eine einzelne Persönlichkeit dem fantastischen Genre so deutlich den Stempel aufgedrückt wie eine furiose Rebellin gegen neuzeitliche Naturwis­sen­­­schaft. Die Rede ist von Helena Blavatsky, Begründerin der Okkultlehre namens Theosophie. Spürt man den nachgewiesenen und wahrscheinlichen Einflüssen ihrer Lehre auf die phantastische Literatur nach, liest es sich streckenweise wie ein „Who is Who“ der bekanntesten Weird- und Science-Fiction-Autoren.

Geboren wurde Helena Hahn 1831 in Jekaterinoslaw als Tochter eines deutschen Obersten im Dienst des Zaren und einer russischen Adligen. Aus der Ehe mit dem wesentlich älteren Nikifor Blavatsky floh sie, noch bevor diese vollzogen wurde.

Es folgte eine Reihe unsteter Wanderjahre, die sie kreuz und quer durch Europa, nach Mexiko, Persien und Tibet gebracht haben sollen (1). Dass sie schon als Jugendliche im Ruf eines Schreibmediums stand, scheint ihre spätere Karriere in mehr als einer Hinsicht vorgezeichnet zu haben. Während ihrer Reisen diente sie nicht nur dem spiritistischen Medium Daniel Dunglas Home zeitweise als Assistentin, sondern wandelte auch in Indien und anderswo auf den Spuren östlicher Weis­heitslehren. 1873 schließlich kam sie nach New York, wo sie sich der florierenden Spiritistenszene anschloss und den Miracle Club gründete. „Die Geister bewegten nun schon Tische, ließen Möbel durch die Luft schweben, spielten auf Musik­instrumenten und materialisierten sich sogar bei Séancen“ (2).

Auf den 7. September 1875 dann fiel ein Ereignis, das als Meilenstein in der Geschichte des modernen Okkultismus gilt: Die Gründung der Theosophischen Gesellschaft. Den Begriff Theosophie haben weder Frau Blavatsy noch ihre Entourage selber erfunden, galt er doch vorher als Sammelbegriff für viele Formen des Mystizismus – doch ab diesem Zeitpunkt trägt er sozusagen das Copyright-Zeichen.

Besonders herausgefordert fühlte sich Blavatsky durch die seit kurzem grassieren­de Evolutionstheorie, dem hoffnungslosen Materialismus eines Charles Darwin oder Thomas Huxley. So erkor sie sich zur Aufgabe, diesen bedrohlichen Tenden­zen eine von Spiritualität und uralter Weisheit behauchte Menschheits­geschichte entgegenzusetzen. Und so tat sie, was sie am besten konnte: Schreiben in ständiger Tuchfühlung mit der Geisterwelt. Auf diese Weise erblickten Werke wie „Isis entschleiert“, „Die Geheimlehre“ oder „Der Schlüssel zur Theosophie“ das Licht der Welt.

Auch wenn H.B. ganz gewiss eine ungewöhnlich belesene Frau war, lassen sich Zweifel an ihrem kritischen Verstand nicht völlig unterdrücken. Statt auf Logik und empirische Überprüfung setzte sie entschieden auf Anmutungen, Visionen und Intuition. Das Ganze erweckt den Anschein, als ob das Gelesene über den Sehnerv ins Gehirn gelangte, dort Purzelbäume schlug, um nonstop und unter hohem Druck in die Schreibhand zu fließen. Auch die Nachfolger, die ihre Gedanken mit dem einen oder anderen neuen Detail schmückten, waren nicht unbedingt erleuchtete Meister des klaren Ausdrucks. Der Sache tat es keinen Abbruch: Dafür, dass die Lehre geheim war, erreichte sie erstaunliche Auflagen. Gleichzeitig schossen überall in Amerika, Europa – und Indien! – theosophische Gesellschaften aus dem Boden.

Nun hinterlässt die Theosophie weniger den Eindruck uralten Weistums als den einer kruden Science-Fiction-Religion, in der Versatzstücke aus Gnostik, indischem Mystizismus, Rassentheorie, moderner Astronomie und jede Menge okkult-spiritistischer Hokuspokus am staunenden Betrachter entlang paradieren.

Für die Theosophen stellt der Kosmos eine Art lebenden Organismus dar, der vor allem von übernatürlichen und meistens unsichtbaren Kräften erfüllt ist. Hin und wieder materialisiert ein Planet und durchläuft eine siebenstufige Evolution, um am Ende wieder ins Absolute zurückzukehren.

Auch der Mensch besteht aus sieben Komponenten, einigen physischen und einigen körperlosen, unter anderem dem Astralkörper. Eben der sei auch für all die okkult-spiritistischen Phänomene wie Telepathie und Hellsehen verantwortlich (3). Die unstofflich-unsterblichen Anteile gehen beim Tod auf ein anderes Individuum über, denn selbstverständlich glauben Blavatsky & Co. auch an die Reinkarnation.

Wie sehr es die Theosophie mit der Zahl Sieben hat, wird endgültig an ihrer Rassen­lehre deutlich. Im Laufe seiner Evolution wird der Planet Erde von insgesamt sieben „Wurzelrassen“ besiedelt. Derzeit befinden wir uns im Zeitalter der fünften, der arischen Rasse. Ihr gingen die polarische, die hyperboräische, die lemurische und atlantische voraus.

„Erst in der lemurischen ‚Rasse‘ habe der Mensch einen physischen Körper erhalten; in den vorherigen Epochen sei er ‚ätherisch-astralisch‘ gewesen. Jede Wurzelrasse wird bei Blavatsky wiederum in sieben Abschnitte, die sogenannten Unterrassen, unterteilt. Die gegenwärtige ‚arische‘ Rasse oder Epoche habe bisher fünf Abschnitte durchlaufen: die ur-indische, die ägyptisch-chaldäische, die ur-persische, die griechisch-lateinische und die aktuelle germanisch-nordische oder teutonische Unterrasse“ (aus 4).

Des Weiteren klärt die Theosophie autoritativ das Rätsel der Verwandtschafts­beziehungen zwischen Affe und Mensch. Nicht der Mensch stammt vom Affen ab, sondern umgekehrt: Indem Männer früherer Wurzelrassen ihren Trieb nicht beherrschen konnten und mit weiblichen Tieren Verkehr hatten, setzten sie Affen und andere Abscheulich­keiten in die Welt (3).

Auch untergegangene Kontinente spielen eine hervorgehobene Rolle – besonders Lemuria im indischen Ozean, das von der dritten Wurzelrasse bewohnt gewesen sei. „Diese Wesen hatten krumme Beine, vier Arme, Augen auf dem Hinterkopf, waren Hermaphroditen und legten Eier. Gemeinsam mit den Dinosauriern (ja, tatsächlich!) lebten sie in Lemuria und erfanden den Sex. Das führte aber zum Untergang von Lemuria“ (aus 5). Ursprünglich handelte es sich bei Lemuria übrigens um eine irrige, aber dennoch nüchterne wissenschaftliche Theorie, die bestimmte tiergeographische Beziehungen zwischen Afrika und Südostasien erklären sollte.

Weitere Anregungen fand Helena Blavatsky im altehrwürdigen Atlantismythos. Ihr zufolge handelte es sich bei den Atlantern um die Nachfahren der Lemurier. Da sie in der Lage waren, die Schwerkraft zu kontrollieren, war es ihnen ein Leichtes, mit Luftschiffen durch den Himmel zu kreuzen und Gigantarchi-tekturen wie Stonehenge auf die Beine zu stellen (6). Möglich wurde ihnen das durch die mystische „Vril“-Kraft, einer Lesefrucht, die Blavatsky beim englischen Phantastik­autoren Bulwer-Lytton („The Coming Race“) gepflückt hatte (7). Bei den Luftschiffen dachte sie allerdings weniger an neuzeitliche Luft- und Raumfahrttechnik als an die Vimanas, den Himmelsgondeln, die sich schon in der altindischen Veda finden (8,9). Erwähnenswert auch, dass die Ernährungs-grundlage der Atlanter aus außerirdi­schem Weizen bestand (10). Doch all diese Innovationen halfen am Ende nicht. Die Atlanter waren dem Untergang geweiht, weil sie sich zu tief in schwarz­magische Praktiken verstrickt hatten (11).

Da der Kosmos aus Sicht der Theosophen ohnehin vor geistigen Wesen wimmelte,  war die Vorstellung von Außerirdischen alles andere als ein gedanklicher Salto. Schon Blavatsky selber spekulierte über Leben auf fremden Welten und vertrat die Auffassung, dass die Weisen früherer Epochen um intelligentes Leben auf der Venus wussten (12). Gelegentlich bezog sie sich dabei auf den populären, erheblich zu Phantastik und Esoterik neigenden Astronomen Camille Flammarion, der ganz nebenbei zu den Gründungsmitgliedern der Theosophischen Gesellschaft gehörte.

In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts bauten Arthur E. Powells und Scott-Elliott, Theosophen der nächsten Generation, den venusianischen Mythos weiter aus. Ihrer Lesart nach landeten die Venusier in der Vorzeit mit einer großen Raumschiffflotte auf der Erde und/oder projizierten ihre Seelen in die Körper der Lemurier, womit sie deren geistige Anführer wurden. Verantwortlich zeichnen sie unter anderem für die Steinmonumente auf den Osterinseln (13).

Einen weiteren Aspekt theosophischer Welterklärung stellen übernatürliche und unsichtbare Geistwesen dar, die teilweise aus fremden, ebenso unsichtbaren Welten stammen. Sie nehmen die Rolle von Wächtern ein, die der Menschheit dabei helfen, auf dem Pfad der Höherentwicklung zu bleiben. Unerleuchtete vortheosophische Kulturen kannten Namen wie „Engel“ oder „Buddhas“ für diese Wesen (8). Ein wenig überraschend, dass für die Theosophen auch Luzifer einen ähnlich charmanten Part einnimmt (14) – ein Detail, das in einem anderen Zusammenhang erhebliche Bedeutung haben wird.

Die Ausstrahlung der Theosophie ist beachtlich. Nicht nur, dass sie einen großen Anteil an der Verbreitung indischer (Pop-)Mystik im Westen hat. Um einen der bekanntesten Theosophen überhaupt handelt es sich bei Rudolf Steiner, der zeitweise als Generalsekretär der deutschen theosophischen Sektion fungierte. Später sagte er sich unter Mitnahme des Vereinsvermögens los, um seine eigene Lehre, die Anthroposophie, zu propagieren, die die Grundlage der Walddorfschulen bildet.

Über Querverbindungen bestehen Beziehungen zur etwas unappetitlichen Figur Aleister Crowley und dem neuheidnischen „Wicca“-Hexenkult. Insgesamt spielten Theosophen in der esoterischen Szene eine so wichtige Rolle, dass es Alice Bailey, einer Anhängerin Blavatskys, zufiel, mit dem Begriff „New Age“ den Namen für eine ganze Bewegung zu kreieren.

Kehren wir noch einmal zum berüchtigten Schwarz- und Sexualmagier Aleister Crowley (1875-1947) zurück. Eine frühe Station seiner okkulten Karriere stellte der  OTO (Ordo Templis Orientalis) dar, einer ritualmagischen Verbindung, die von deutschen Theosophen gegründet worden war. Auch später noch schien Crowley  die Theosophen wachen Auges verfolgt zu haben. Er ließ sich sogar herbei, Helena Blavatsky seine spirituelle Schwester zu nennen, was bei einem Egomanen seines Zuschnitts ein unüberbietbares Kompliment darstellen dürfte (15).

Zu Crowleys Schülern gehörte der Amerikaner Jack Parsons. Dieser arbeitete eng mit einem ebenso vom Okkulten besessenen Freund zusammen, der sich als Science-Fiction-Autor über Wasser hielt. Sein Name war L. Ron Hubbard. Im Jahr 1950 brachte er das Buch „Dianetics“ heraus, einen Ratgeber, der praktische  Handreichungen für den Alltag bot: unter anderem, wie man zu einem unsterb­lichen Geistestitanen wird – wobei unsterblich wörtlich zu nehmen ist. Der Erfolg war groß genug, um eine Reihe von Seminaren folgen zu lassen. Doch setzten ihm die Mächte der Finsternis in Gestalt des Finanzamts derart zu, dass er sich entschloss, ihnen ein Schnippchen zu schlagen. Und so gründete Hubbard eine steuerbefreite Religionsgemeinschaft. Das war die Geburtsstunde von Scientology (16). Wie der Blogger Jason Colavito nachweisen konnte, handelt es sich bei den Hubbardschen Lehren um nichts anderes als aufgepeppte Theosophie: Angefangen bei einem von Geistwesen bevölkerten Kosmos, über außerirische Besucher auf der vorzeitlichen Erde, untergegangenen Kulturen und Kontinenten bis hin zu Seelenwanderung und übernatürlichen Fähigkeiten (13). In späteren Jahren gab Hubbard die Leitung von Scientology aus den Händen und schrieb wieder Science-Fiction-Romane. Einer davon, Battlefield Earth“, wurde vor einigen Jahren mit John Travolta in der Hauptrolle verfilmt.

Und damit wären wir mitten drin im Beziehungsnetz von Theosophie und Science-Fiction. Der Austausch fand durchaus nicht auf der Einbahnstraße statt. So zollte Helena Blavatsky dieser Literaturgattung große Hochachtung und deutete sie als Arterinnerungen an frühere Rassen und Epochen. Außerdem bediente sie sich ganz handfest bei Bulwer-Lyttons Roman „The Coming Race“, indem sie die Idee der Vril-Kraft in ihr Opus übernahm (17).

Gern zur Feder griff auch die prominente Esoterikerin Dion Fortune, die zusammen mit einigen Theosophen eine eigene Vereinigung gegründet hatte. Neben okkulten Traktaten verfasste sie eine ganze Reihe von Fantasy-Romanen (18). Auch die mit Theosophie und anderen Geheimlehren abgesättigte Esoteriklegende Maria Szepes tummelte sich hin und wieder in den Gefilden unterhaltender Literatur. Besonders bekannt ist ihr Alchemistenknüller „Der Rote Löwe“. Doch auch in ihren nichtfiktionalen (wenn man das so sagen kann) Werken schlug sie dann und wann einen bemerkenswert forschen Ton an: „Also begann die Atomkraft-Offensive der Lemurier gegen Atlantis. Das gespenstische Konzert der vernichtenden Elemental-Orgeln, der Kampf der Angriffs- und Abwehrkräfte, welche über die Empfangs- und Sendeantennen der magischen Zyklopenbauten, zwischen die Sternbahnen des Weltalls ausstrahlten, störte die Ordnung und das Gleichgewicht des Kosmos. Die Kräfte fingen einen unerwarteten, unerwünschten Himmelsvagabunden in ihrem Netz ein, änderten dessen Richtung und trieben seine zerstörerische Wirkung auf die Erde zu“ (aus 19).

Ja – und was wäre die Science-Fiction ohne Außerirdische? Viel Treibstoff wurde dem Genre durch jene Zeitgenossen zugeführt, die tatsächlich Kontakt mit Aliens gehabt haben wollen. Zu den ganz großen Stars des Ufo-Sichtungs-Booms nach dem 2. Weltkrieg gehört George Adamski. Bei unserem Georgi scheint es sich um ein einigermaßen pfiffiges Kerlchen gehandelt zu haben, von dem mehr als eine geniale (und lukrative) Idee überliefert ist. Bis in die zwanziger Jahre hinein sehen wir ihn als Armeeangehörigen und Instandsetzungsarbeiter im Yellowstone-Nationalpark. Und vor allem als eifrigen Studenten theosophischer Schriften. Im Jahr 1926 dann sein erster Gedankenblitz: Er gründete die theosophisch ausgerichtete Gemeinschaft des „Royal Order of Tibet“. Verbunden damit war die Lizenz zum Herstellen und Anbieten von Wein zu zeremoniellen Zwecken. Während der harten, trockenen Prohibitionssjahre eine nicht zu verachtende Einkommensquelle (20). Kurz nach Kenneth Arnolds epochaler Ufo-Sichtung im Jahr 1947 begann Adamski, selbstgemachte Fotos von Meteoriten­schauern als Ufo-Beweise zu verkaufen, was ihn zur lokalen Berühmtheit machte.

1952 dann der nächste Geniestreich: Als einer der ersten Menschen des 20. Jahr­hunderts verkündete er, mit Außerirdischen in Kontakt getreten und zu Rundflügen in einer Fliegenden Untertasse eingeladen worden zu sein. Bis zur Venus solle ihn diese Tripps gebracht haben: Bespaßt wurde er dabei von einem gewissen Orthon, einer markanten blond-nordischen Gestalt, die auf telepathischem Wege mit ihm plauderte und die Menschheit vor den Gefahren der Atombombe warnte. Dies war die Geburtsstunde des Aliens vom nordischen Typ (später wurden die „Greys“, die kleine, großköpfige und schlitzäugige Variante, populärer). Außerirdische von der Venus, eine Vorliebe fürs Arische, übersinnliche Kräfte, kosmische Wächter über das menschliche Schicksal – wo könnte man das schon einmal gehört haben?

Zur Unterstützung dieser Behauptungen und zur Verkaufsförderung seines Buches „Fliegende Untertassen landen“ schob George Fotos von besagtem fliegendem Geschirr nach, die mittlerweile längst als Nepp enttarnt sind. Ein Motiv erfreute sich besonderer Beliebtheit. Was es in Wirklichkeit darstellt, ist nicht ganz klar. Zum engeren Verdächtigenkreis gehören Abdeckhauben italienischer Eismaschinen. Trotzdem wurde das Design derart prominent, dass es den Ufos aus der TV-Serie „Invasion von der Wega“ Modell saß (21).

Ein eigenartiger – oder genauer gesagt: eigenartig brauner – Aspekt wurde in den letzten Jahren vor allem durchs Internet in die Ufologie getragen. Es sei klar gesagt, dass die Theosophen keine faschistische Organi­sation bilden oder bildeten. In ihren Gründungsstatuten verpflichteten sie sich zu durchaus humanisti­schen Idealen, außerdem verfolgten sie keine direkt politischen Ziele. Als entschiedene Gegner Darwins, bei denen so und so letztlich alles „geistig“ war, haben sie mit  Extrem- und Vulgärbiologismus sicherlich auch nicht viel anfangen können. Andererseits pflegte Blavatsky in ihrer „Geheimlehre“ einen ausgesproche­nen Arierkult und haute Bemerkungen raus, wonach die Juden grob sinnlich, materialistisch und selbstsüchtig und die farbigen Völker (die „Chândalas“) Degenerationsformen der Arier seien.

In die Blavatskysche Aura wurden damit zwangsläufig auch rechtsauslegende Esoteriker wie Ariosophen, Thulegesell­schaft und Artamanen gesogen, die bei der Anbahnung der NS-Diktatur eine nicht unerhebliche Rolle spielten. Wo es um legendäre Kontinente, Ahnenrassen, Atlantis, reinrassige Arier und parapsychische Fähigkeiten ging, schrieben sie mit flinken Fingern von den Theosophen ab. Während des Dritten Reiches existierte zudem eine kleine bedeutungslose Gruppe, die über die technische Anwendung der „Vril“-Kraft spekulierte (22). Gleichzeitig wurde gelegentlich und am Rande mit kreisförmigen Fluggeräten experimentiert. Fäden, die gewissermaßen nur darauf warteten, zusammengeführt zu werden.

Und so schwang sich 1993 ein rechtsradikaler Verschwörungspamphletist zum chef de cuisine der Gerüchteküche auf. Unter dem Pseudonym Ja van Helsing warf er das Buch „Geheimgesellschaften und ihre Macht im 20. Jahrhundert“ auf den Markt, das beeindruckende Verkaufszahlen erreichte und sich nach Verbot wegen Volksverhetzung via Internet in unzähligen Klonen fortpflanzt. In besagtem Werk finden sich auch extrem verwaschene Fotos von Fliegenden Untertassen mit sprechenden Namen wie „Vril“ und „Odin“ (6). Seitdem gehört das Nazi-Ufo zu den fest etablierten Memen der Populärkultur. Fast meint man den Schlachtruf zu hören: „Heute gehört uns Youtube, morgen die ganze Welt!“. Eine aktuelle Persiflage dazu stellt der Film „Iron Sky“ dar. Die Bewertung bei IMBD fällt allerdings eher mäßig aus. Was ein Grund mehr wäre, das Thema zu den Akten zu legen.

Dass die Götter Astronauten waren, dass die Erde in der Vorgeschichte Ziel außerirdischer Besucher war, hat Erich von Däniken nach eigenem Bekunden durch außersinnliche Eingebungen erfahren (23). Dabei hätten es auch  konventionellere Kanäle der Wissensvermittlung getan: Zum Beispiel Buchhandlun­gen. Tatsächlich wurde er in Zusammenhang mit Plagiatsvorwürfen mehr als einmal gezwungen, nachträglich Hinweise auf Bücher seiner Ideengeber und Vorläufer ins Literaturverzeichnis aufzunehmen. So hat bereits einige Jahre vor Dänikens Debut der fränzösische Science-Fiction-Schreiber Robert Charroux die Idee vorgeschichtlicher Ufo-Kontakte in Sachbüchern verarbeitet.

Doch war auch er weit davon entfernt, der Erste zu sein. Im Jahr 1960 hatte sich das französische Autorengespann Louis Pauwels und Jacques Bergier in ihrem Buch „Le Matin des magiciens“ einer ganzen Palette von Themen angenommen wie Prophezeiungen, Alchemie, die Nazca-Linien, Nazi-Okkultismus und einer fremden Riesenrasse, die in prähistorischer Zeit die Menschheit beherrschte. Beide waren massiv beeinflusst durch den amerikanischen Weird-Fiction-Autoren H.P. Lovecraft (24). Und der hatte das Buch The Story of Atlantis and Lost Lemuria von Scott-Elliott, einem waschechten Theosophen, sehr genau gelesen.

In seinem ersten Leben war David Icke Fußballprofi in der englischen Liga und  Sportreporter der BBC. Im Jahr 1991 ließ er sich während eines TV-Inter­views, in dem er eine Reihe recht krauser Theorien vertrat, unter anderem zur Behauptung hinreißen, der Sohn Gottes zu sein. Dies hätte ohne weiteres das Ende einer Karriere bedeuten können. Für Icke war es der Anfang. Seit dieser Zeit gehört er zu den Schwergewichten der esoterisch-verschwörungs­theoretischen Szene und findet ein nicht gerade bescheidenes Auskommen als Vortragsredner und Buchautor.

Seine Hauptthese lautet, dass unser Planet von der Geheimloge der Illuminaten beherrscht wird. An deren Spitze wiederum steht ein kleiner Kreis von Mischlingen: Kreuzungen von Menschen und reptilienartigen Außerirdischen, die vor Jahrtausenden auf die Erde kamen. Um ihre humanoide Form zu wahren, sind diese Mischwesen auf den Konsum von Menschenfleisch angewiesen. Dennoch entgleiten ihnen hin und wieder unter Stress die Gesichtszüge, wodurch die wahre Reptilienfratze zum Vorschein kommt. Unvorteilhafte Fotos von Prominenten bilden für Icke den unumstößlichen Beweis seiner Thesen (25).

Nun könnte man meinen, dass Mr. Icke völlig übergeschnappt sei. Was den Nagel wohl auch auf den Kopf trifft. Trotzdem steckt mehr dahinter. Denn diese Ideen sind nicht allein auf seinem Mist gewachsen. Jahre zuvor verkündete William Bramley in seinem Sachbuch der schockierten Öffentlichkeit, dass die Erde von einem außerirdischen Geheimbund beherrscht werde. Wenn auch selber nicht reptiloider Gestalt, hatten sie doch die Schlange als Symbol auserkoren und nannten sich folgerichtig Bruderschaft der Schlange. Doch schon im Jahr 1889 hatte der Okkultautor Hargrave Jennings die Erkenntnis ausgebreitet, dass es einen mächtigen, weltumspan­nenden (wenn auch nicht außerirdischen) Schlangenkult gebe (26). Nur wenige Jahre zuvor hatte Helena Blavatsky als erste und einzige von einer Bruderschaft der Schlange geschrieben (27). Außerdem erinnern wir uns, dass ihr zufolge die Lemurier, die dritte Wurzelrasse, die zusammen mit den Dinosauriern lebte, Eier legte und auch sonst so einige reptilische Eigenarten pflegte.

Beachtlich der Einfluss der Theosophie auch auf jene, die es nicht nötig hatten, ihre Traumgespinste als reißerische Fakten zu verkaufen – auf die Schriftsteller phantastischer Literatur. So steht der Brite Rider Haggard (1856-1925) im Ruf, sich mit Theosophie beschäf­tigt zu haben. Bekannt ist sein Abenteuerroman „König Salomos Schatzkammer“, in dem er die Figur Allan Quatermain einführt, die auch für Verfilmungen aus den 80er Jahren als Grundlage diente. Noch bedeutender aber ist sein Werk „She“, bei dessen titelgebender Figur es sich um eine 2000 Jahre alte Priesterin eines vergessenen Kulturvolkes in Afrika handelt. In diesem Setting aus übersinnlichen Fähigkeiten, Ahnenrassen und verschollenen Kulturen werden theosophische Einflüsse mit Händen greifbar. Auch andere Passagen in seinem ziemlich umfangreichen Werk weisen Beziehungen zur Esoterik Blavatskyscher Prägung auf (28).

Algernon Blackwood, prominenter Verfasser von Horror- und Psi-Geschichten, hatte zeitweise sogar die Stellung eines Sekretärs der Theosophischen Gesellschaft in Toronto inne (28).

Vor allem bekannt ist Arthur Conan Doyle für seinen gnadenlos logisch operierenden Überdetektiv Sherlock Holmes. Doch daneben gibt es einen anderen Doyle, einen weniger bekannten. Einen, der sich intensiv mit Theosophie und Spiritismus beschäftigte – und dessen Hingabe so weit ging, auf ziemlich plumpe Fotofälschungen von Minielfen hereinzufallen (29). Außerdem lieferte er sich eine Privatfehde mit dem ehemals befreundeten Entfesselungskünstler Houdini, weil der sich – gewissermaßen als Mann vom Fach – erdreistete, Spiritismus als Humbug und Bühnenhokuspokus zu outen.

Zu Doyles imposantem Oeuvre gehört eine ganze Reihe von Okkult- und Science-Fiction-Romanen. Am bekanntesten darunter dürfte sein Zyklus um den schratigen Professor Challenger sein. Herausragend „The Lost World“, in dem ein von Dinosauriern bevölkertes Hochplateau im südamerikanischen Dschungel entdeckt wird. Darüber, ob Erzählelemente wie alte Rassen und Dinos als Zeitge­nossen auf theosophischen Anregungen beruhen, lässt sich nur spekulieren. In weiteren Challengergeschichten wie „Land of the Mist“ oder „When the World Screamed“ (30) geht es jedenfalls handfest spiritistisch und esoterisch zu.

„Inklings“ (Tintenkleckser) nannte sich eine Bande von distinguierten Professoren der Geisteswissenschaften an der Universität Oxford, die sich seit den 30er Jahren regelmäßig in ihrem Lieblingspub „The Eagle and Child“ trafen, um ungehemmt akademisches Seemannsgarn zu spinnen und auf Papier zu bannen. Der Bekannteste von ihnen war J.J.R. Tolkien (31). Nicht wesentlich weniger prominent der Literaturwissenschaftler C. S. Lewis, dessen populärste Romanserie kürzlich unter dem Titel „Die Chroniken von Narnia“ verfilmt wurde. Daneben verfasste er einen Science-Fiction-Zyklus, der auch Perelandra-Trilogie genannt wird. Dass Lewis ein Leben lang zwischen Christentum und Theosophie pendelte, ist diesem Werk deutlich anzumerken. Zwar spielen Raumschiffe und Reisen zu anderen Planeten eine Rolle, andererseits geht es aber akzentuiert übersinnlich zu,  indem sich die Handlung zu einem großen Teil um kosmische Evolutionen, Planetengeister, Astralreisen, böse Mächte und magische Kräfte dreht (32).

Literarisch aktiv war der Kalifornier Clark Ashton Smith (1893-1961) nur für relativ kurze Zeit. Seine gesamte zweite Lebenshälfte widmete er in seiner einsamen Hütte dem Malen und der Bildhauerei – allerdings ein wenig dilettantisch, wie ich finde. Im Gegensatz dazu stellt sein schriftstellerisches Werk einen meisterlichen Zaubertrank aus Horror, Science-Fiction und Fantasy dar. „Als Hintergrund dient Smith ein Universum voll ferner lähmender Schrecken – Dschungel voll giftiger, schillernder Blüten auf den Monden des Saturn, verruchte und groteske Tempel in Atlantis, Lemuria und in vergessenen früheren Welten sowie feuchte Sümpfe mit gefleckten tödlichen Pilzen in gespenstischen Ländern jenseits der Erde“. So Brieffreund und Bewunderer H. P. Lovecraft in seinem Essay „Die Literatur der Angst“ (33).

Mit den quasi-religiösen Implikationen der Theosophie konnte Smith nicht viel anfangen, doch erwähnte er in einem Brief an Lovecraft, dass er deren Mythologie so einiges an Anregungen zu verdanken habe. Sein Zyklus um Poseidonis, einer Insel des atlantischen Kontinents mitsamt seiner arischen Bewohner, folgt theosophischen Quellen (34). Bei denen hatte er sich zudem die Idee für Hyperborea, dem Schauplatz eines anderen Zyklus, geborgt.

Zu den Brieffreunden Lovecrafts (und Smiths) gehörte auch Robert E. Howard aus Texas. Obwohl er sich ein scharfes Muskeltraining verordnet hatte, wirkt er auf den erhaltenen Fotos immer ein wenig weich und pummelig. Etwas, was einem Arnold Schwarzenegger wohl kaum nachgesagt werden kann. Und das dürfte der Haupt­grund gewesen sein, warum dem österreichischen Wahlamerikaner die Filmrolle des „Conan“ zufiel. Bei diesem Conan aus Cimmerien handelt es sich um Howards wichtigste literarische Figur. Seine Geschichten bestanden vor allem in Fantasy vom „Schwert-und-Magie“-Typ, die in fernen geschichtlichen und vorgeschichtlichen Epochen spielten und in denen sich kraftstrotzende Barbaren mit der Streitaxt in der Hand den Weg zum kleinen Glück bahnten. Allerdings hat er auch Erzählungen hinterlassen, bei denen fremde Planeten die Kulisse abgeben. Außerdem ist seine Figur Solomon Kane als Angehöriger der viktorianischen Epoche mehr oder minder Zeitgenosse. Wenn er auf verlorene Stämme und Kulturen stößt, befindet er sich im Übergangsfeld von Fantasy und Science-Fiction (35). Howards Vater las theoso­phi­sche Schriften und war als Landarzt „alternativen“ Methoden zugetan. Auch Robert E. Howard selber hatte einige theosophische Lieblingsautoren (36). Nehmen wir noch die Korrespondenz mit Lovecraft und Smith hinzu, lässt sich konstatieren, dass er in einer ausgesprochen theosophischen Atmosphäre atmete. Seine Geschichten um Atlantis und Lemuria, alten Rassen und üblen Zauberern legen Zeugnis dafür ab.

Verfügt Robert E. Howard Jahrzehnte nach seinen Tod noch über eine treue Fangemeinde, dann muss der folgende Autor zu den Megastars des Genres gezählt werden. Dauerhaft ins Gedächtnis der populären Literatur eingegangen ist Edgar Rice Burroughs (1875-1950) als Schöpfer Tarzans, Herr des Dschungels. Viel Erfolg hatte er daneben mit seiner Science-Fiction-Serie um die Hauptfigur Jim Carter, der nach einer Ohnmacht feststellen muss, dass er sich mittlerweile auf dem Mars befindet, wo er zünftige Abenteuer zu bestehen hat.

In den 50er Jahren machte sich Fritz Leiber, ein weiterer Grandseigneur der phantastischen Literatur, daran, den Inspirationen für Burroughs Werk auf den Zahn zu fühlen. Fündig wurde er bei den Theosophen. Für die unterschiedlichen marsia­nischen Rassen, von denen eine über zwei Armpaare verfügt, gibt es Entsprechun­gen bei Blavatsky. Und in der geheimnisvollen Energie, mit der die Marsianer ihre Raumschiffe bewegen, lässt sich unschwer die Vril-Kraft identifizieren. Ähnlichkeiten bestehen auch hinsichtlich Gedanken- und Astralreisen. Zudem resoniert in der untergehenden hohen Zivilisation der „roten“ Marsianerrasse der theosophische Atlantismythos (37). Bemerkenswert an dieser Analyse nicht nur die Affinität Burroughs zur Theosophie, sondern auch Leibers Kennerschaft – ein Autor immerhin, der allen Sätteln der Phantastik gerecht wurde: in der Fantasy vor allem durch seinen legendären Grauen Mauser, im Horror zum Beispiel durch „Conjure Wife“ (verfilmt als „Hypno“/“Night of the Eagle“) oder in der Sci-Fi mit „Wanderer im Universum“.

Nachdem der Name bereits mehrfach genannt wurde, ist es an der Zeit, einen genaueren Blick auf H. P. Lovecraft zu werfen. Literarisch gesehen gehören seine Erzählungen zu jenen wunderlichen Werken, bei denen die Einzelheiten falsch sind, das Gesamtergebnis aber imponiert. In seinen Stories spielen Frauen und Erotik eine geringere Rolle als in einem Mönchsorden, die Plots sind oft durchsichtig, simpel und ohne Raffinesse. Dabei bedient er sich einer bewusst antiquierten Sprache, deren überrissenes Vokabular wie „blasphemisch“ und „monströs“ formelhaft rezitiert wird. Seine rassistischen Ausfälle machen sprachlos, und seine auf die Spitze getriebene Angst- und Ekelbereitschaft vermitteln das Gefühl, der beklemmenden Ausstrahlung eines hoch neurotischen Menschen ausgesetzt zu sein. Und dennoch gibt es kaum einen Autor, dessen Einfluss so weit reicht: von der Präastronautik à la Däniken, die ihre Herkunft zu leugnen versucht, bis zur offenen Bewunderung eines Stephen King oder John Carpenter.

Doch auch Lovecraft hatte Vorläufer. Dass er von Haus aus Atheist und naturwissen­schaftlicher Materialist war, hinderte ihn nicht, allerlei dämonische und phantastische Geschichten zu erzählen. Handelte es sich zunächst vor allem um Okkult- und Schauergeschichten, nimmt im Werk nach und nach das eine große Thema Gestalt an: Der Cthulhu-Mythos, der Bericht von fremdartigen Rassen aus dem All, die vor Urzeiten die Erde besiedelten, gigantische Städte gründeten und deren Hinter­lassenschaft noch immer für unerfreulichen Spuk sorgt (38).

Aus seinem umfangreichen Schriftverkehr geht hervor, dass er diverse theoso­phische Schriften kannte und sie bei seiner eigenen Produktion für ausgesprochen hilfreich hielt. Wenn in seinen Erzählungen fremde außerirdische Rassen auf lemurischen und atlantischen Kontinenten, Raumschiffe von der Venus und die mythische Stadt Shamballah (aus der auch die Shangri-La-Legende hervorging) auftauchen, ist es kein großes Rätsel, woher diese Ideen stammen (39).

In seinen „Bergen des Wahnsinns“ vergleicht er außerdem die antarktischen Ruinenstädte mit den tibetischen Landschaftsbildern Nicholas Roerichs, einem russischen Künstler und Himalajareisenden, der eine theosophische Vereinigung gründete und die Lehre von Agarta verbreitete, dem mythischen unterirdischen Reich im Tibet (40).

Vor dem zweiten Weltkrieg gab es, ein wenig in Vergessenheit geraten, auch in Deutschland eine blühende populäre bis triviale Science-Fiction-Szene. Wie der Soziologe Manfred Nagl anmerkt, sticht diese Literatur nicht gerade durch einen lupenrein technisch-naturwissenschaftlichen Charakter hervor, sondern enthält starke okkult-phantastische Elemente. Ein Trend, der nach Nagl aus den USA herüber geschwappt sei. Auch dort gehörten zu Beginn des 20. Jahrhunderts fast 50% der als Science Fiction gelisteten Texte in die übersinnlich-mystische oder pseudohistorische Kategorie (8).

In Deutschland drängten sich neben Theosophie, Hohlwelt- und Welteislehre massiv Rassentheorien ins Genre. Und so erzählen die Romane nicht nur von kühnen Luft- und Raumfahrtpionieren, sondern auch von bösen Zauberern, Ätherwesen, kosmischen Evolutionen, übersinnlichen Fähigkeiten, reinen arischen Rassen, Welt­un­tergängen, Polverschiebungen und immer wieder von Atlantis.

Atlantismythos und Arierideologie besonders eng verwoben und auf die propagan­distische Spitze getrieben hat Edmund Kiß (41) in seiner Atlantistetralogie (1931-1937). Zur Belohnung hätte ihn Heinrich Himmler um ein Haar zum Expeditions­teilnehmer ernannt, wäre nicht der Krieg dazwischen gekommen. Auch Hans Dominik, bekanntester deutscher SciFi-Autor jener Tage, den es in seinen Geschichten neben technischen Utopien auch immer wieder ins Parapsychische lockte, versuchte sich am Atlantisthema.

Die bekannteste Sci-Fi-Heftreihe vor dem zweiten Weltkrieg trug den untergegan­genen Kontinent sogar im Titel: „Sun Koh – Der Erbe von Atlantis“. Die Hefte erschienen in mehreren Auflagen bis 1945. Ab 1958 wurden sogar wieder Neubearbeitungen aufgelegt. Mastermind hinter dem Ganzen war Paul Alfred Müller, zu dessen gigantischem Ausstoß auch eine Reihe von „Kommissar X“-Titeln gehören. Zur Illustration, wes Geistes Kind er war, ein kurzes Wiki-Zitat: „Alle Nachkriegsausgaben wurden um rassistische, antisemitische oder allgemein das Deutschtum verherrlichende Ausdrücke gekürzt“ (42). Nicht nur, dass Sun Koh in vielerlei Hinsicht das große Vorbild für „Perry Rhodan“ abgab – beinahe hätte sich auch eine persönliche Kontinuität ergeben. Denn ursprünglich war Müller als Mitautor vorgesehen. Ein Vorhaben, das daran scheiterte, dass er seinen  verschrobenen Hohlweltglauben in die neue Serie einzubringen gedachte (43).

Dennoch lässt sich in der Perry-Rhodan-Reihe Kontinuität auf breiter Front feststellen: nicht nur in Bezug auf Sun-Koh oder der allgemeinen esoterischen Tendenz der Zwischenkriegszeit-SciFi, sondern auch zum munter sprudelnden Quell der Theosophie.

So finden sich im Perry-Rhodan-Universum außerirdische Besucher in der Vorzeit nebst untergegangenen Kulturen und Kontinenten, die sich gut theosophisch Atlantis und Lemuria nennen. Bei Atlan, dem letzten Überlebenden der atlantischen Zivilisation, handelt es sich um eine imposante, quasi-arische Figur. In gewisser Weise gehört er zu den Wächtern von den Sternen, die ihre schützende Hand über die Menschheit halten. Zu denen zählt auch das Geistwesen „Es“ auf dem Planeten Wanderer. Komplette Planeten, die eine Evolution ins rein Geistige durchlaufen, stellen nun aber Theosophie in Reinkultur dar. Und es finden sich Wesen mit parapsychischen Fähigkeiten, „Mutanten“, die Gedanken lesen (Telepathie), ohne Zeitverlust von einem Ort zum anderen springen (Teleportation) oder Gegenstände mit rein geistiger Kraft bewegen können (Telekinese).

Auch wenn wir damit der deutschen Serie den Rücken kehren, lohnt es sich, ein wenig bei diesen „Sonderbegabungen“ innezuhalten. Berichte und Vorstellungen von Menschen mit übernatürlichen Fähigkeiten gibt es seit eh und je: Zauberer, die die Dinge in ihrer Umwelt nach Belieben manipulieren konnten, Poltergeistphänomene, schwebende Gestalten – schon Jesus Christus konnte über dem Wasser laufen (44). Von Hellsehern und Gedankenlesern bis zu schwebenden Jungfrauen sticht die enge Beziehung zu einer Vielzahl von Kirmesattraktionen ins Auge. Im 19. Jahrhundert formierte sich die Parapsychologie, die die Begeisterung für abseitige Phänomene in ein wissenschaftliches Gewand zu kleiden versuchte. Am erfolgreichsten noch dürfte sie bei der Umbenennung der Phäno­mene gewesen sein, wie sie heutzutage mit ihren schicken griechisch-lateinischen Bezeichnungen einherschreiten.

Bekanntermaßen waren die Beziehungen zwischen Parapsychologie und Theosophie außerordentlich eng: Nicht nur, dass Mme Blavatsky selber als potentes Medium galt. Gleichzeitig umfasste ihre Lehre eine Theorie der Psi-Kraft. Einem Online-Wörterbuch der Science-Fiction-Fachbegriffe zufolge ist der Ausdruck Telepathie direkt von Parapsychologie und Theosophie ins phantastische Genre gesickert (45).

Allerdings reichen die Zusammenhänge noch tiefer. In ihrer „Geheimlehre“ verkündet Blavatsky, dass sich eine neue Stufe menschlicher Evolution zuerst mit der Geburt anomaler, parapsychisch begabter Kinder ankündige. Faszinierenderweise taucht diese Idee gleich in einer ganzen Reihe von teilweise sehr einflussreichen SciFi-Romanen auf. Sehr bekannt wurde „Slan“ von A. E. van Vogt, der eng mit Hubbard zusammenarbeitete und zu den Mitbegründern von Scientology gezählt werden kann. Als weitere Titel zu nennen wären George Smith: Das Geheimnis der Wunderkinder, H. L. Lawrence: Kinder des Lichts oder Lewis Padget: Die Mutanten (8). Einen besonders großen Erfolg erzielte die Verfilmung von Wyndhams „Midwich Cuckoos“, die unter dem Titel „Das Dorf der Verdammten“ in den deutschen Kinos lief. 1995 machte sich John Carpenter sogar an eine Neuverfilmung.

Den erstaunlichsten Fall aber stellt Arthur C. Clarke dar, der zu den absoluten Granden der britischen Science-Fiction gehört. Besonders in seinen frühen Werken erweist sich der studierte Mathematiker und Physiker als vor allem technisch-naturwissenschaftlich orientierter Autor. Darüber hinaus trat er immer wieder als scharfer Kritiker von Parapsychologie und Esoterik auf (46). Und dennoch stammt aus seiner Feder der Roman „Childhood’s End“ (dt. „Die letzte Generation“).

Erzählt wird die Invasion der außerirdischen Superzivilisation der Overlords, deren Riesenraumschiffe eines Tages über den Hauptstädten der Erde erscheinen. Die Overlords, die die Geschicke der Menschheit seit langem beobachten, führen mit Hilfe ihrer überlegenen Technologie den Planeten in eine Phase des Friedens und Wohlstands. Nach fünfzig Jahren endlich zeigen sie sich den Menschen in ihrer körperlichen Gestalt – die mittelalterlichen Teufelsdarstellungen erstaunlich ähnlich ist. Es wird offenbar, dass sie die Absicht haben, die Menschheit mit einem rein geistigen Superwesen, dem „Overmind“, zu verschmelzen. Als auf der Erde immer mehr Kinder mit parapsychischen Fähigkeiten geboren werden, kündigt sich der Zeitpunkt an, zu dem die Erde physisch zu existieren aufhören und eine neue Existenzstufe erreicht wird (47).

Wenn sich in einem phantastischen Roman eine einzelne thematische Überschneidung zu theosophischem Gedankengut findet, ließe sich das als Zufall abtun und müsste nicht als Beeinflussung interpretiert werden. Aber hier? Die Existenz von Geistwesen. Kosmische Wächter. Wächter, die – es sei ausdrücklich gesagt – in der Gestalt des Teufels auftreten. Wir erinnern uns: Nach theosophischer Lesart hat auch Luzifer eine derart positive Rolle inne. Geistige Evolutionen: Nicht nur von Rassen, sondern von ganzen Planeten. Kinder mit paranormalen Fähigkeiten als Künder eines neuen Evolutionsabschnitts. Immer noch Zufall?

Nun wäre es ja möglich, dass sich Erzskeptiker Clarke in ironisch-parodierender Weise der Theosophie bedient hat. Das ist aber nicht sehr wahrscheinlich, weil der Ton des Romans zu ernst, zu unironisch gehalten ist. Und es gibt einen noch schwerwiegenderen Grund. Von Clarke stammt auch der Roman „2001 – Odyssee im Weltraum“, der von Stanley Kubrick verfilmt wurde und bei dem es sich möglicherweise um den einflussreichsten Science-Fiction-Film aller Zeiten handelt.

Auch hier die Themen außerirdische Zivilisationen als Begleiter und planetare Evolutionen. Mit Symbolik geradezu überfrachtet die letzte Einstellung – wenn neben dem Bild der vom Weltall aus gesehenen Erde in gleicher Größe, in gleicher Kugelgestalt und vom selben ätherischen Schimmer umhüllt die Fruchtblase mit dem Ungeborenen auftaucht. Und so mag es sein, dass es sich beim stillen rätselhaften Lächeln des Fötus um den letzten Gruß der alten Hochstaplerin Helena Blavatsky handelt.

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Literatur

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  2. Wilson, Colin (1982): Das Okkulte. Berlin u. Schlechtenwegen.
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  5. http://www.scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2011/04/lemuria-wenn-wissenschaft-zu-esoterik-wird.php
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  45. http://www.catb.org/esr/sf-words/glossary.html
  46. http://de.wikipedia.org/wiki/Parapsychologie
  47. http://de.wikipedia.org/wiki/Die_letzte_Generation

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