Auf der Suche nach ihren Wurzeln sind auch schwarze Amerikaner auf das Land der Pyramiden aufmerksam geworden.
Einen interessanten und im Grunde gar nicht so bizarren Seitenast der Ägyptomanie stellt die Verehrung dar, die Afroamerikaner in den USA dem Pharaonenreich entgegenbringen. Denn viele von ihnen hängen der Überzeugung an, dass es sich bei Altägypten um eine schwarzafrikanische Kultur handele.
Es ist wahr, dass sich die „Weißen“, die Europäer, vor gar nicht so langer Zeit fast den gesamten Globus unterworfen hatten. Wobei sie mit den Einheimischen nicht eben zimperlich umgingen – was ohne weiteres bis zu Versklavung und Vernichtung reichen konnte. Nicht zutreffend ist allerdings, dass nur Weiße zu Rassismus fähig seien.
Auch unter Afroamerikanern gibt es Regungen, die es darauf anlegen, den Spieß umzudrehen. Um einen ziemlich atemberaubenden Fall handelt es sich bei der Mythologie der „Nation of Islam“, die mit Ägypten zwar nicht viel zu tun hat, aber trotzdem wert ist, ein wenig ins Licht gerückt zu werden.
Von Norden kommend war der Islam auch ins Innere Afrikas vorgestoßen. Deshalb ist es kaum überraschend, dass es unter den schwarzen Sklaven in den USA auch immer schon Moslems gegeben hat. Diese islamische Unterströmung dürfte dafür verantwortlich sein, dass sich in der schwarzen community Grüppchen bildeten wie im Jahr 1913 der „Moorish Science Temple“. Der hatte es sich zur Aufgabe gemacht, a) für die Rechte der Afroamerikaner zu kämpfen und b) den Koranglauben zu verbreiten. Wobei diese Islamvariante kaum als lupenrein zu bezeichnen ist, sondern einen selbstgemachten Mix aus Koran, Christentum und afroamerika-nischen Befreiungslehren darstellte.
Als deren Gründervater verschied, schuf Wallace Fard Muhammad 1930 aus dem Nachlass seine eigene Sekte, die als Nation of Islam bekannt wurde (auch unter der populären Bezeichnung Black Moslems gehandelt). Der volle Name lautete jedoch The Lost-Found Nation of Islam in the Wilderness of North America.
Fard Muhammad blieb der Tradition religiöser Lehren der Marke Eigenbau treu und ließ in seine Schriften die Legende des Yakub aus der Feder fließen.
Vor über sechstausend Jahren, als die Menschheit nur aus Schwarzen bestand, lebte in Mekka ein Mann namens Yakub. Bei aller Intelligenz und brillanten Bildung war es ein schwieriger, nicht besonders liebenswerter Zeitgenosse, der auf Mittel und Wege sann, die Macht an sich zu reißen (der perfekte mad scientist).
Zu diesem Zweck setzte er mit 59.999 Anhängern auf die griechische Insel Patmos über, wo er ausgedehnte genetische Experimente durchführte, um eine neue, skrupellose Herrenrasse zu züchten. Dazu war es beispielsweise notwendig, alle besonders dunkelhäutigen Babys zu töten. Nach zweihun-dert Jahren gelang seinen Nachfolgern die Schaffung einer braunen und nach sechshundert Jahren schließlich die einer weißen Rasse.
Als diese Züchtung nach Mekka auswanderte, verursachte sie durch ihre angeborene Niedertracht und Bratzigkeit derartige Schwierigkeiten, dass sie schließlich nach Europa expediert wurde. Dort fristete sie in Höhlen zunächst eine primitive, tierhafte Existenz. Dann aber gelang es ihr durch eine Reihe übler Tricks („tricknology“), sich zu Herren der Welt aufzuschwingen und die Schwarzen zu versklaven. Allerdings leben wir in der Endzeit ihrer Herrschaft, in der sich die Schwarzen schließlich ihre angestammten Rechte zurückerobern werden.
1934 verflüchtigten sich Fard Muhammads Spuren. Die einen sagen gen Mekka. Möglichst weit weg vom FBI, sagen die anderen. Was aber noch lange nicht das Ende seiner Lehren bedeutete. Im Gegenteil: Sein Nachfolger Elijah Muhammad fügte ihr sogar noch die eine oder andere Arabeske an. Zum Beispiel, dass einige Weiße versuchten, sich zu Schwarzen zurückzuzüchten. Was aber gründlich daneben ging, weil dabei nur Gorillas herauskamen. Seitdem wissen wir, wie die afrikanischen Menschenaffen in die Welt gekommen sind.
Unter Elijah Muhammad erlebte die Nation of Islam einen beachtlichen Aufschwung. Der Höhepunkt dürfte in den 70ern erreicht worden sein, als bis zu einer Million Anhänger gezählt wurden (unter anderem Boxlegende Muhammad Ali, der ursprünglich auf den Namen Cassius Clay getauft war). Was deutlich macht, dass eine derartige schwarze supremacy durchaus nicht dazu verurteilt ist, auf taube Ohren zu stoßen.
Seine Nachfolger und Konkurrenten (so etwa Malcolm X) versuchten verschiedentlich, den Yakub-Mythos in die Mottenkiste zu verbannen und der Nation einen Spin in Richtung eines sunnitischen Mainstream-Islam zu verleihen. Der derzeitige Führer der Organisation, Louis Farrakhan, kann mit dieser Überlieferung allerdings gut leben und sieht sie sogar durch die Wissenschaft bestätigt.
Nun glauben die meisten US-Schwarzen natürlich nicht, dass es sich bei Weißen um anmaßende Gen-Monstren handelt. Derzeit dürfte die Nation of Islam 20.000-50.000 Mitglieder zählen. Überhaupt bezeichnen sich 83% der Schwarzen als Christen und nur 1% als Moslems.
Wie gesagt: Mit Ägypten hat das alles wenig zu tun, aber es demonstriert, dass durchaus Nachfrage nach Lehren besteht, an denen sich schwarzes Selbstbewusstsein aufrichten kann. Ein Bedürfnis, das auch vor übersteigertem Afrozentrismus nicht Halt macht – ein Hunger nach Symbolen schwarzer Überlegenheit. Und diese Rolle wurde mehr und mehr dem Alten Ägypten übergestülpt.
Zu den großen frühen schwarzen Bürgerrechtlern gehörte W.B.E. Du Bois, ein höchst gebildeter Mann, der nicht nur in Harvard, sondern auch in Europa bei Max Weber studiert hatte. 1915 veröffentlichte er „The Negro“, in dem ein Kapitel auch Ägypten und Äthiopien gewidmet war. Darin wiederholte er nicht nur den altbekannten Fakt, dass Ägypten direkt an „Nubien“, an Schwarzafrika mit anderen Worten, grenzte. In den Augen Du Bois boten sich die Ägypter selber – nach Beurteilung der Physiognomien altertümlicher Büsten und der Reiseberichte antiker griechischer Autoren – als stark, in der Frühzeit sogar überwiegend afrikanisch geprägtes Volk dar. Durch Migrationen aus Nordafrika und dem Nahen Osten bildete sich aber eine Mischrasse eigenen Gepräges, was Du Bois nicht gerade bedauerte – fallen afrikanisch-weiße Mischlinge doch durch ihre besondere Schönheit auf.
Alles in allem liest sich seine Schrift am ehesten noch wie eine Ehren-rettung der Afrikaner. In der Folgezeit wurde der Ton jedoch zusehends aggressiver.
Marcus Garvey (1887-1940) stellt unter den Rastafaris, den „Reggaeleuten“ auf Jamaika und anderswo, eine Kultfigur ersten Ranges dar. Als schwarzer Jamaikaner war er 1914 nach London und zwei Jahre später nach New York gekommen, wo er sich als Journalist, politischer Aktivist und Organisator betätigte.
Seine politische Vision bestand nicht in Gleichberechtigung und Integration der Schwarzen in weiße Mehrheitsgesellschaften, sondern in der Schaffung eines gesamtafrikanischen Nationalgefühls und der Auswanderung der Schwarzen nach Afrika. Zu diesem Behuf gründete er sogar eigens eine Schifffahrtsgesellschaft (Black Star Lines), die allerdings nie Fahrt aufnahm. Am Rande sei erwähnt, dass der Slogan „Black is beautiful“ auf ihn zurückgeht.
Nicht ohne Bedeutung dürfte sein, dass er kurzzeitig Kontakte zu afroamerikanischen Freimauerkreisen unterhielt. Wir erinnern uns: Die Freimaurer waren davon überzeugt, dass ihre Mysterien und Rituale auf uralte ägyptische Traditionen zurückgingen.
Für Garvey stellten die Ägypter keine Mischrasse, sondern schlicht und einfach Schwarzafrikaner dar, die bereits eine Hochkultur ins Leben gerufen hatten, als die Europäer in ihren Höhlen noch dem Kannibalismus frönten. Irgendwie aber gelang es den Weißen, allen voran den alten Griechen, die Macht an sich zu reißen, den Ägyptern ihre Weisheitsschätze zu entreißen und sie für eigene Schöpfungen auszugeben (Stolen legacy). Abgesehen von der fehlenden Gentechnik-Science-Fiction ist das schon bemerkenswert nah dran an der Yakub-Legende. Jedenfalls war damit der Ton fürs Kommende vorgegeben.
1946 erschien in den USA das Buch „World’s Great Men of Color“. Autor war der aus Jamaika stammende Sohn gemischtrassiger Eltern Joel A. Rogers, der überwiegend in New York und Chicago lebte. In dieses Kompendium berühmter schwarzer Persönlichkeiten fand erstmals auch Kleopatra Eingang.

Den Versuch, den Afrozentrismus auf breitere wissenschaftliche Grundlage zu stellen, unternahm Cheikh Anta Diop, Historiker und Naturwissen-schaftler aus dem Senegal.
Zum einen meinte er, in griechischen Sagen den Hinweis auf eine ägyptische Einwanderung nach Griechenland in früher Zeit aufgedeckt zu haben. So wie er auch davon überzeugt war, eine auffällige Ähnlichkeit des Altägyptischen mit westafrikanischen Sprachen feststellen zu können.
Darüber hinaus glaubte er, in der griechischen Philosophie viele Spuren ägyptischen Denkens aufgespürt zu haben.
Den Nachweis, dass es sich bei den Ägyptern um Schwarzafrikaner handelte, führte er einerseits auf semantischem Wege, indem er für einen so ausgedehnten Rassenbegriff plädierte, dass auch Ägypter unter der Rubrik Negride (= schwarze Afrikaner) bequem Platz finden.
Das hinderte ihn allerdings nicht, an mehreren Mumien Proben zu entnehmen, um den Melaningehalt der Haut festzustellen. Wonach für ihn zweifelsfrei feststand, dass es sich bei ihnen um waschechte Schwarzafri-kaner handelte.
Auf dem Feld afrozentrischer Lehre tummeln sich noch eine ganze Reihe weiterer Namen. Für ganz besonderen Wirbel aber hat das mehrbändige Werk „Black Athena“ (schwarze Athene, ab 1987) des (weißen!) britischen Politologen Martin Bernal gesorgt, der erst mitten in der akademischen Karriere seine Vorliebe für alte Geschichte entdeckt hatte, aber immerhin Altgriechisch und Hieroglyphen lesen konnte.
Für Bernal bot sich das Alte Ägypten als vorwiegend schwarze Kultur dar, die während der Bronzezeit zeitweise von einem semitischen Volk, den historisch gut fassbaren Hyksos, beherrscht wurde. Das Neue an seiner Theorie war, dass Hyksos und Ägypter nun auch Griechenland erobert und dort ein afrikanisch-ägyptisch-semitisches Fundament gelegt hätten, auf dem sich die griechische Kultur überhaupt erst entfalten konnte.
Wäre es früheren Zeitaltern sonnenklar gewesen, was die griechische Kultur Ägypten und dem Nahen Osten zu verdanken hätte, ereignete sich im 19. Jahrhundert eine Art akademischer Verschwörung, für die europäische – vor allem deutsche – Gelehrte verantwortlich zeichneten. Sie propagierten die Sichtweise, dass es sich bei den Griechen um ein europäisches Volk mit indoeuropäischer Sprache handelte, die ihre einzigartige Kultur ganz überwiegend aus eigener Kraft schöpften.
Die in Rede stehenden Forscher benutzten diesen Ausdruck natürlich nicht selber, doch Bernal taufte diesen Denkansatz auf das „arische Modell“. Man beachte den nicht allzu subtilen Anklang an die Nazi-Ideologie.
Diese afrozentrische Hintergrundmusik blieb nicht ohne Tiefenwirkung. Denn derlei Ideen zirkulieren bei weitem nicht nur im eng gezogenen Kreis der Fachhistoriker. Mittlerweile wird an amerikanischen Hochschulen eine Unzahl von Anfängerkursen zum Thema angeboten – einschließlich der darin enthaltenen Tendenz. Eine Entwicklung, von der Fachleute anfangs offensichtlich kaum Wind bekamen. So wunderte sich die Altphilologin Mary Lefkowitz über die feindselige Haltung einer schwarzen Studentin während ihrer Sokrates-Veranstaltung. Später beichtete ihr diese Studentin entschuldigend, dass sie in einem anderen Kurs gelernt hätte, dass Sokrates schwarz sei. Daher hätte sie Lefkowitz verdächtigen müssen, diese Tatsache in niederträchtiger Absicht geheim zu halten.
Ein verstärktes Interesse der US-Schwarzen an Afrika hatte sich schon Jahrzehnte vorher zu regen begonnen – nicht zuletzt auf Grund der Popularität, die Reggae und Rasta-Bewegung für sich reklamieren konnten. Von der Reggaegröße Peter Tosh stammt der musikalisch durchaus gelungene Song „Mama Africa“ aus dem Jahr 1983, der die Glorie des schwarzen Kontinents besingt.
Immer stärker geriet aber speziell Ägypten in den Blickfeld. Mittlerweile dürfte es unzählige Internetseiten und Youtube-Streams zu diesem Thema geben.
Wie tief Ägyptisches in die Populärkultur eingesunken ist, lässt sich auch daran erkennen, dass sich Hieroglyphen zu beliebten Motiven für Schmuck oder Tattoos mauserten. Besonders populär das Ankh oder Anch, das altägyptische Lebenssymbol.
Vor allem von Musikern wie der Soulsängerin Erykah Badu und dem Rapper Tupac Shakur wurde dieser Stil popularisiert. Prince entwickelte ein Symbol persönlichen Zuschnitts, das aber ebenfalls deutliche Anklänge ans Ankh verrät.
Im Nebenerwerb versucht Top Act Beyoncé, ihre Modekollektion an Mann und Frau zu bringen. Angeboten werden unter anderem Hoodies, die mit dem Porträt der Sängerin, verkleidet als Pharaonengattin Nofretete (Nefertiti), geschmückt sind.
Einen Schritt weiter gehen die Kemetisten. Kemet ist die Eigenbezeich-nung, die die alten Ägypter ihrer Heimat gaben. Pikanterweise lautet die Übersetzung „schwarzes Land“, was zu vielfältigen Spekulationen einlädt. Wobei Ägyptologen allerdings der Ansicht zuneigen, dass damit keine Hautfarbe, sondern das Land selber beschrieben wurde: Der schwarze, fruchtbare Boden des Nilufers im Gegensatz zum roten Sand der unfrucht-baren Wüste.
Beim Kemetismus handelt es sich um den Versuch, die altägyptische Religion wiederzubeleben und zu praktizieren. Womit er sich zwanglos in den Reigen neuheidnischer Konfessionen wie Druidentum, Wicca oder Odinkult einreiht. Bei den Anhängern handelt es sich bei weitem nicht ausschließlich um Afroamerikaner. Aber dass diese Strömung besonders unter ihnen populär ist, versteht sich nach allem, was gesagt wurde, von selbst.
Auch aus einer anderen, ebenso speziellen Ecke wird dem Pharaonenreich höchstes Ansehen entgegengebracht. Die Rede ist vom „Ägypten“ der Präastronautiker à la Däniken. Für diese ufologische Subspezies stellt unser Planet schon seit Urzeiten das Ausflugsziel außerirdischer Raumfahrer dar, die nebenher auch für die gentechnische Erzeugung des Jetztmenschen verantwortlich sind.
Altägyptische Darstellungen, die mit extrem gutem Willen als Glühbirnen gedeutet werden können, rätselhafte Tiefenbohrungen, die – mühsam hineininterpretierte – Zahlenmagie der Pyramiden und alte Berichte über Sichtungen rätselhafter Objekte am Himmel lassen für sie nur einen Schluss zu: Das Alte Ägypten war eine Hi-Teck-Ufo-Nation. Und so gehören auch fliegende Pyramiden mit Raketenantrieb zur alltäglichen Bilderwelt des Internets.
Es kam, wie es kommen musste. In den Köpfen einiger Schwärmer mit leicht entzündlicher Phantasie vermählten sich Afrozentrismus und Präastronautik. So existierte beispielsweise in den USA der 80er Jahre eine Minisekte, die Nuwaubian Nation, in der sich Afrozentrismus, Ägypten und Ufologie kreuzten. Immerhin brachte sie es so weit, auf dem Gelände ihres Hauptsitzes Nachbauten von Ufos und Pyramiden zu errichten.
Nun könnte man derlei Phantasmagorien getrost dem verrückten Rand der Gesellschaft zurechnen und die Sache schleunigst wieder vergessen. Tja, wären da nicht die 200 Millionen Dollar, die sich Marvel Studios und Walt Disney für den Streifen „Black Panther“ haben kosten lassen.
Bei dem Film handelt es sich um ein ziemliches CGI-Getöse, das um den fiktiven Staat Wakanda angelegt ist: Ein imposantes, höchst geheimes Gebilde irgendwo im Grenzbereich von Kenia, Äthiopien und Südsudan. Diese hypertechnisierte Science-Fiction-Gesellschaft zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass dort ausschließlich Schwarzafrikaner leben. Fremden wird, sofern sie überhaupt von der Existenz Witterung aufgenommen haben, der Zutritt rigoros verweigert. Wenn auch nicht in Ägypten lokalisiert (wo man die Geheimhaltung wohl auch kaum hätte glaubhaft rüberbringen können), mutet das Ganze wie der feuchte Traum von Gläubigen eines schwarzen Ufo-Ägyptens an.
Wenn ein afrikanisiertes Ägypten nun schon derart en vogue ist, dürfte die Frage nach dem wissenschaftlichen Gehalt nicht gerade die letzte Geige spielen.
Das größte Fragezeichen besteht natürlich darin, ob die Ägypter wirklich schwarz waren. Wem sich jetzt bei der Aussicht auf eine mögliche peinlich akkurate Rassendiagnose die Augenbrauen kräuseln, dem sei ins Gedächt-nis gerufen: Es waren vor allem die Afrozentristen, die die Rassenkarte ausgespielt haben.
Auch wenn die moderne molekulare (DNA-)Anthropologie viele subtile Komplikationen aufgedeckt hat, bleibt Rasse als grobes biologisches Zuordnungsraster nun auch völlig okay. Schließlich kann jeder anthro-pologische Laie anhand eines Fotos erkennen, ob es eine Straßenszene in Nairobi, Stockholm oder Tokio zeigt.
Ob man körperliche Charakteristika nimmt (Hautfarbe, Maße am Körper etc.) oder klassische genetische Merkmale (z.B. Blutgruppen), weisen moderne Ägypter in statistischen Analysen die größte Ähnlichkeit zu den übrigen Nordafrikanern und dem Nahen Osten auf – und die in ihrer Gesamtheit zu den Europäern. Der Abstand zu den Afrikanern südlich der Sahara ist dagegen beträchtlich.
Wie stand es aber mit dem Alten Ägypten? Hier helfen zunächst die Malereien und Porträts weiter, die einheimische Künstler des Altertums hinterlassen haben. Wobei man sich hüten sollte, die Hautfarbe allzu wörtlich zu nehmen. So kann es vorkommen, dass ein und derselbe Pharao in seiner Grabkammer mehrfach und ganz unterschiedlich dargestellt wird. Handelt es sich um einen kostbaren, eines Herrschers würdigen Farbstoff und bildet er einen besonders augenfälligen Kontrast zum goldenen Gewand, kann Ihre Majestät auf einem Porträt durchaus als schwarz wie die Nacht abgebildet werden.
Die ägyptischen Künstler waren sehr genaue Beobachter mit feinem Gespür für Unterschiede in Kleidung, Haar- und Barttracht der verschiedenen Völker. Dabei stellten sie die Angehörigen des eigenen Volkes als deutlich unterscheidbar von den Stämmen des Südens, Nordens und Ostens dar. Außerdem wurden für Schwarzafrikaner, „Nubier“, tendenziell dunklere Farben gewählt als für andere ethnische Gruppen. Davon, dass sich die Ägypter selber als Nubier sahen, kann also keine Rede sein.
Die antiken Griechen und Römer waren zwar keine Zeitgenossen der alten Ägypter, sondern befanden sich chronologisch zwischen ihnen und uns auf halber Strecke. Trotzdem erwähnenswert, dass sie die Bewohner des Nilufers zwar als recht dunkel, aber deutlich von den Schwarzafrikanern, den „Äthiopiern“, verschieden beschrieben.
Naturwissenschaftlich an die Sache heran ging der biologische Anthropologe Loring Brace. Dazu untersuchte er eine größere Zahl von Skelettserien aus Ägypten und anderen Teilen der Welt. An jedem Individuum nahm er über 20 Schädelmaße, die er einem statistischen Vergleich unterzog. Eines seiner Ergebnisse lautete, dass sich die Ägypter über Jahrtausende sehr ähnlich geblieben waren: Die Skelette aus der Zeit vor den Pharaonen glichen am stärksten denen aus der pharaonischen Endzeit. Am engsten waren die Verbindungen zu anderen Bevölkerungen aus dem Nahen Osten und Europa, während sich zu Schwarzafrika oder anderen Weltgegenden keine näheren Beziehungen aufdecken ließen.
Nach vielen gescheiterten Versuchen sind die Genetiker mittlerweile in der Lage, alte DNA aus Mumien zu analysieren. Die Prozedur der Mumifi-zierung, bei der viel Körpergewebe entfernt wurde, zusammen mit der Anwendung verschiedener chemischer Reagenzien, die sich zerstörerisch auf die DNA auswirkten, hatte vorher als Barriere gewirkt. 2017 wurde aber eine Studie an 90 Mumien veröffentlicht, derzufolge die alten Ägypter genetisch am engsten mit den Bevölkerungen des Nahen Ostens verwandt waren. Ein wenig entfernter standen sie zu den alten Europäern, während es zu Schwarzafrika keine nennenswerten Beziehungen gab. Interessan-terweise tritt bei modernen Ägypter eine stärkere schwarzafrikanische Komponente hervor, die allerdings erst aus den letzten Jahrhunderten stammt.
Mit einem Wort: Unter der Lupe seriöser Wissenschaft verdampft die Vorstellung eines schwarzafrikanischen Ägyptens ziemlich spurlos.
Auch für Bernals Behauptung, dass Griechenland während der Bronzezeit ägyptische Provinz gewesen sei, finden sich keine archäologischen Hinweise – im Gegensatz etwa zu Syrien, wo aus historischen Quellen bekannt ist, dass es zeitweise zum ägyptischen Herrschaftsgebiet gehörte.
Zudem meint es die moderne DNA-Forschung auch hier nicht gut mit Thesen à la Black Athena. Untersuchungen an Skeletten bronzezeitlicher Griechen (Mykener) und Kreter derselben Epoche (Minoer) wiesen nach, dass beide Bevölkerungen sehr eng miteinander verwandt waren. Außerdem zeigten sie enge Beziehungen zu den modernen Griechen. Aufspüren ließ sich auch das genetische Echo früher Einwanderungen aus dem Norden und Osteuropa. Migration aus Ägypten oder gar Schwarzafri-ka Fehlanzeige.
Zu den afrozentrischen Standards gehört, dass der Athener Philosoph Sokrates schwarz gewesen sei. Ein Hauptargument liefert Bernal: Sokrates wurde von seinem Schüler Plato als stupsnasig und ähnlich einem Silen (einem im antiken Griechenland sehr populären Mensch-Tier-Fabelwesen) beschrieben. Stupsnasig und silenartig = afrikanisch. Von der mangelnden logischen Stringenz abgesehen, eine bemerkenswerte Einlassung von jemandem, der sich dem Antirassismus verschrieben hat. Erwähnt werden sollte auch, dass kein einziger Zeitgenosse Sokrates je als Afrikaner beschrieben hätte.
Um einen besonders aparten Fall handelt es sich bei Kleopatra. Mittlerweile dürfte klar geworden sein, dass die Ägypter keine Schwarzafrikaner waren. Kleopatra war noch nicht einmal Ägypterin. Sie war Spross der rein griechischen Dynastie der Ptolemäer, die Alexander der Große als Herrscher über Ägypten eingesetzt hatte. Warum nun ausgerechnet sie zur afrozentrischen Ikone erhoben wurde, entzieht sich meiner Kenntnis. Die Münzen mit ihrem Porträt, die zu ihren Lebenszeiten (und wohl auch mit ihrer Zustimmung) in Umlauf gebracht wurden, erzählen eine andere Geschichte. Sie zeigen eine Frau, die weder mit Tyra Banks noch mit Elisabeth Taylor allzu viel gemein hat.
Ob populär oder nicht – von den Fakten her steht es nicht gut um den Afrozentrismus. Es mag ja sein, dass er vor allem eine Reaktion auf weißen Rassismus darstellt. Das macht ihn zwar verständlich, trotzdem bleibt er immer noch ungesund wissenschaftsfeindlich.
Dabei ließe sich von den Wissenschaften so einiges lernen. Auch aus alter Geschichte. Zum Beispiel, dass man in alter Zeit mit Dingen wie Rasse und Hautfarbe wesentlich relaxter umging.
Die Ägypter waren ziemliche Chauvinisten. Entscheidend war für sie allerdings nur, ob jemand Ägypter war oder nicht. Hautfarbe spielte keine Rolle. Die schwarzen Nubier waren berühmt als Krieger, vor allem als Bogenschützen. Dies machte den Weg frei für beachtenswerte militärische Karrieren. Dass Nubier Rang und Wohlstand erlangten, sich ägyptisch naturalisieren ließen und Frauen des Landes heirateten, war gang und gäbe. In vielen Gegenden der USA der 1950er wäre das einem faustdicken Skandal gleichgekommen.
Auch in anderer Hinsicht ist niemand gezwungen, sich die Fakten nach eigenem Geschmack hinzubiegen, um eine besondere Beziehung Ägyptens zum übrigen Afrika zu belegen.
Die ägyptische Sprache gehört zur großen afroasiatischen Sprachfamilie, die vom Nahen Osten, wo sie das Arabische und Hebräische umfasst, bis tief nach Ostafrika hinein reicht.
Das schwarzafrikanische Nubien, von den Ägyptern Kush genannt, im heutigen Sudan gehörte zeitweise zum Pharaonenreich. Im letzten Jahrtausend vor Christus drehten die Nubier allerdings den Spieß um. Sie eroberten Ägypten, verleibten es dem Reich von Kush ein und installierten eine eigene Pharaonendynastie, die zwar kaum mehr als 70 Jahre Bestand hatte, aber kulturell als sehr produktiv gilt. Nach einer Pause von vielen Jahrhunderten wurden zum Beispiel wieder Pyramiden errichtet.
In der Folgezeit wurde Ägypten nacheinander von Assyrern, Persern, Griechen und Römern in Besitz genommen. Weiter im Süden hatte das Reich von Kush aber weiterhin Bestand. Eingebürgert hat sich der Name Reich von Meroe für die Epoche, nachdem das politische Zentrum in die gleichnamige Stadt verlegt wurde.
Berühmt ist Meroe vor allem für die über zweihundert Pyramiden, die das Reich hinterlassen hat. Sie sind kleiner und steiler als traditionelle ägyp-tische Bauten und im Unterschied zu ihren Vorbildern um ein tempel-artiges Portal erweitert.

Eindrucksvoller lässt sich der Einfluss Ägyptens auf Schwarzafrika wohl kaum illustrieren. Das Ganze hat mich zu einem kleinen Spiel gereizt. Nirgendwo sind so viele altägyptische Ausstellungsstücke versammelt wie im Britischen Museum in London. Damit stellt es sozusagen den Ort dar, an dem die Europäer das Pharaonenreich in ihre eigene Geschichte einverleibten.
Nun war Theben für lange Zeit Hauptstadt des Reiches. Wie sähe es auf einer Karte aus, wenn die Entfernungen Theben-London und Theben-Meroe, dort wo der Einfluss Ägyptens auf Schwarzafrika am greifbarsten ist, eingetragen werden? Das verraten nebenstehend die rote und die blaue Linie. Wenn Afro-Amerikaner eine besondere Nähe zu Ägypten reklamie-ren, ist das also alles andere als absurd. Geschichtsklit-terung ist völlig überflüssig.
Und wo auf kämpferische Bilder wie Yakub oder schwarze Kleopatra verzichtet wird, ließe sich statt des Trennenden vor allem eine Gemein-samkeit zwischen Schwarzen und Weißen entdecken: Die Faszination, die noch immer vom Ägypten der Pharaonen ausgeht.