Um den Kapitalismus zu verstehen, könnte man die Nase in dicke Bücher stecken. Vielleicht reicht aber schon ein Blick auf den Hühnerhof. Eine kurze biologische Geschichte der Ungleichheit und was so dazugehört.
Dinge wie Herrschaft, Ausbeutung oder Unterdrückung biologisch zu erklären, mag verwegen erscheinen. Gebietet es intellektuelle Bescheiden-heit nicht, derartige Großthemen den Spezialisten zu überlassen? Den Historikern, Wirtschafts- oder Sozialwissenschaftlern? Im Prinzip ja – gäbe es da nicht gewisse Phänomene, die auch den evolutionären Anthropologen hellhörig werden lassen.
Es gab einmal ein Volk, das sich über Jahrtausende hinweg durch Jagen und Sammeln ernährte. Dann ging es zum Ackerbau über, um später große Städte zu gründen. Schließlich errichtete es stufenförmige Pyramiden, in denen Priesterkönige residierten, die über die Städte herrschten. Wer dabei an die alten Sumerer im Zweistromland denkt, liegt weiß Gott nicht daneben. Allerdings: Durch Jahrtausende und fast den halben Erdumfang getrennt, hat sich diese Geschichte ein zweites Mal abgespielt: In Mexiko und Guatemala bei den Maya.
Das Bild lässt sich erweitern: Überall auf der Welt, in allen Kulturen, die jenseits von Jägern und Sammlern stehen, finden wir – wenn auch nicht unbedingt Stufenpyramiden und Priesterkönige – Hierarchien. Gesellschaften, die fein säuberlich nach Oben und Unten gegliedert sind: An der Spitze „große“ Männer, Sippenoberhäupter, Häuptlinge, Könige oder moderne Staatenlenker.
Woher stammt diese Gleichförmigkeit? Äußere Einflüsse kommen kaum in Frage, denn die sind auf weltweiter Skala viel zu unterschiedlich. Ökologisch und historisch ließe sich herzlich wenig finden, was Hawaiianer und Mongolen verbindet. Sind also innere Faktoren verantwortlich? Eine allgemeine Neigung des Menschen, zu herrschen und beherrscht zu werden? Womit wir bei der Natur des Menschen und der evolutionären Anthropologie angekommen wären.
Über Umwege bin ich zur Überzeugung gelangt, dass diese Neigung – von Nietzsche ziemlich bombastisch Wille zur Macht genannt – die Tiefen-ursache für Ungleichheit und Ausbeutung darstellt. Sie ist nicht nur die Kraft, die für Stufenpyramiden verantwortlich ist, sondern auch für die Glaspaläste moderner internationaler Banken.
Um dem Ganzen Butter bei die Fische zu geben, unternimmt dieser Blog einen ziemlich ausgedehnten Rundflug über diverse Gebiete der Anthropologie. Natürlich ließe sich das Ganze auch kürzer haben, aber Anschaulichkeit hat dem Verständnis ja bekanntlich noch nie geschadet.
Auf dieser Tour d’Horizon stellt die zoologische Verhaltensforschung die erste Etappe dar. Beschäftigen wir uns also ein wenig mit der Natur des Tieres. Schließlich sind wir dessen Nachkommen.
Auch bei sozial lebenden Tieren finden wir Hierarchien. Die Stichwörter sind Dominanz, Rang- oder Hackordnungen. Wie hat sich ein derartiges Verhalten in der Evolution entwickelt? Dröseln wir das Problem einmal von Anfang an auf. Oder um mit Lehrer Bömmel aus der Feuerzangenbowle zu sprechen: „Wat is ´ne Dominanz? Da stelle ma uns mal janz dumm…“
Werfen wir dazu einmal einen Blick auf das Bild oben und stellen uns die Frage: Was hindert Vogel A eigentlich daran, Vogel B den Fisch wegzunehmen? Antwort: Prinzipiell gar nichts. Bei Vögeln gibt es kein Strafgesetzbuch, keine Polizei, kein Richter und keine Gefängnisse. Und warum bei Fischen haltmachen? Warum sich auf Kosten anderer nicht auch ihrer Jagdgründe, Schlafplätze und – im Falle männlicher Tiere – begattungsfähigen Weibchen bemächtigen? Wer mit einer derartigen Raubrittermentalität ausgestattet ist, dürfte seine Überlebens- und Fortpflanzungschancen beträchtlich steigern. Und wenn wir davon ausgehen, dass dieses Verhalten genetisch bedingt ist, sollte es sich immer weiter ausbreiten.
Zumindest in der Theorie. Klar ist jedenfalls, dass dieses The-winner-takes-it-all-Prinzip in der Evolution mächtige Schubkraft entwickeln kann. Aber es hat auch seine Grenzen.
Wenn die „Raubritter“ innerhalb einer Spezies an Zahl immer weiter zunehmen, kommt irgendwann einmal der Punkt, an dem sie sich untereinander massiv zerfleischen, womit die Nachteile den Ertrag zu überwiegen beginnen. Ein Mechanismus, den der Evolutionstheoretiker John Maynard Smith in Modellrechnungen zu seinem berühmten „Falke-Tauben“-Spiel überzeugend nachweisen konnte. Dominantes Bossgehabe wächst also nicht in den Himmel, sondern pendelt sich auf einen stabilen Wert ein (1).
Dass blutige Kämpfe Überhand nehmen, verhindert überdies die Reaktion der Rangniederen. Anstatt sich in aussichtslosen Duellen zu verschleißen, überlassen sie dem Ranghohen klaglos den Vortritt beim Fressen, der Suche nach Schlafplätzen oder bei der Fortpflanzung. Dominanzbeziehungen können sich bemerkenswert friedlich präsentieren. Zudem entwickeln Rangniedere Unterwerfungs- oder Submissionsgesten zur Beschwichtigung. Bei Schimpansen nähern sie sich einem Ranghohen in kriechender Haltung und küssen ihm Hände und Füße (2).
Ebenfalls bei Affen wurde beobachtet, dass die dominanten Spitzentiere, die sogenannten Alphatiere, bei der sozialen Fellpflege, dem Grooming, die bevorzugten Partner darstellten. Auch zogen sie die allermeisten Blickkontakte auf sich.
Überhaupt strahlen Ranghohe oft eine wirkungsvolle Aura der Autorität aus. Bei Tauben verschlechtern sich die Lernleistungen in Anwesenheit eines dominanten Tieres – wahrscheinlich aufgrund der Stressreaktion, die die Nähe eines Ranghohen auslöst (3). Beim Grauen Mausmaki, einer kleinen Halbaffenart, wie diese Tiergruppe früher genannt wurde, genügt der Uringeruch eines Ranghohen, um bei fremden Männchen das Wachstum des Körpers und des Hodens sowie die Bildungsrate von Testosteron zu bremsen. Womit natürlich auch die Fortpflanzungsrate dieser Tiere gedeckelt wird (4).
Und damit sind wir beim springenden Punkt. Der größte Gewinn, den Alphatiere aus ihrer Position ziehen, besteht in der Fortpflanzung. In Schimpansengruppen zeichnen sie für 50-75% aller Befruchtungen verantwortlich, während sich das halbe Dutzend übriger Männchen den Rest teilen darf (2).
Damit erweisen sich diese sozialen Spitzenpositionen evolutionär als äußerst attraktiv. Die logische Folge: Diese Ränge sind heiß umkämpft und laden zu ständigen Duellen ein. Spätestens hier findet die Friedfertigkeit der Hierarchien ein Ende. Zehn Prozent aller männlichen Hirsche sterben bei Rivalenkämpfen um die Spitze der Hierarchie (5).
Nun gibt es auch Tiergesellschaften, in denen wir nicht nur Alphatiere und den großen Rest finden, sondern wo alle Gruppenmitglieder fein säuber-lich nach ihrem Rang sortiert sind. Sozusagen Kaiser, König, Edelmann, Bürger, Bauer, Bettelmann. Vor ungefähr hundert Jahren veröffentlichte der norwegische Zoologe Thorleif Schjelderup-Ebbe seine Beobachtungen an Haushühnern. Huhn 1 hackt auf Huhn 2, das auf Huhn 3 und das aufs nächste. Hackordnung wird das auch sinnigerweise genannt (6).
Daraus folgt: Hühner kennen nicht nur den Rang ihrer Mithühner, sondern auch ihren eigenen. Nun weiß ich natürlich nicht, inwieweit Hühner über ein Bewusstsein ihrer selbst verfügen. Sollten sie eines haben, haben sie auch Statusbewusstsein.
Als finsterster Aspekt der Dominanz kann der sogenannte Infantizid, die Kindstötung, gelten – ein Verhalten, das mittlerweile bei einer ganzen Reihe von Arten beobachtet wurde. Alphatiere, die ihre Position erst kürzlich eingenommen haben, töten die Jungtiere ihrer Horde, die ja noch Nachkommen seines Vorgängers sind. Was zunächst schlicht krankhaft anmutet, hat evolutionär durchaus Sinn. Denn die Muttertiere, die ihr Kind verlieren, werden schneller wieder empfängnisbereit. So hat das neue Alphatier vermehrt Gelegenheit, seine eigenen Gene in der Population zu verbreiten. Und das ist immerhin die höchste Prämie, die die Evolution auszahlen kann (4).
Fazit: Bei vielen Tierarten, die in Gruppen leben, finden wir soziale Stufenleitern, an deren Spitze ein zuweilen geradezu diktatorisches Alphatier steht. Mit Demokratie und Chancengleichheit hat das nicht sagenhaft viel zu tun. Fatal, wenn bei uns exakt dieselben evolutionären Gesetze gelten würden. Aber vielleicht sind Menschen ja etwas Besonderes? Dazu ein kleines Gedankenexperiment:
Stellen Sie sich vor, es hätte Sie zusammen mit Ihrem Vorgesetzten in den Wilden Westen verschlagen, und Sie werden vom Sheriff des Ortes festgenommen. Jetzt kauern Sie in Ihren benachbarten Käfigen auf den Pritschen und zählen die Stunden. Um sich die Zeit zu vertreiben, unterhalten Sie sich oder spielen durch die Gitterstäbe hindurch Karten. Allmählich lässt das gemeinsame Los die Statusunterschiede verblassen. Möglich, dass Sie sich langsam näherkommen, obwohl Sie sich anfangs nicht sonderlich sympathisch waren. Auch wenn die Geschichte frei erfunden ist – besonders unrealistisch mutet das Ganze nicht gerade an.
Nun gibt es Tierarten, für die ein derartiges Einvernehmen außer Reichweite liegt und wo der Gang der Dinge in die Katastrophe mündet.
Zum Beispiel bei den Tupaias, den Spitzhörnchen, einer kleinen Säugetierart, die entfernt an Eichhörnchen erinnert. In einem Experiment wurden in zwei benachbarten Käfigen ein ranghohes und ein rangniedriges Männchen untergebracht. Hier gab es nichts, was einem Smalltalk oder einem langsamen Näherkommen auch nur entfernt ähnelte. Im Gegenteil: Da der Rangniedere seinem angeborenen Trieb zum Weglaufen nicht folgen konnte, wurde er durch die Gegenwart des Ranghohen langsam aber sicher in den Wahnsinn getrieben. Die Werte der Stresshormone Adrenalin und Cortisol gingen durch die Decke. So sehr, dass die Nieren versagten und die Tiere nach wenigen Tagen starben (7).
Im Vergleich dazu erscheinen beim Menschen Rangunterschiede erheblich zusammengeschrumpft. Und schon früh war biologischen Anthropologen aufgefallen, dass es dazu sogar körperliche Entsprechungen gibt. So sind bei unserer Spezies die Eckzähne deutlich verkleinert und weisen zwischen den Geschlechtern kaum Unterschiede auf – ein Hinweis darauf, dass bissige Konkurrenzkämpfe keine große Rolle mehr spielen (8). In dieselbe Richtung geht der Größenunterschied zwischen Männern und Frauen, der ungefähr bei 10% liegt – deutlich geringer als bei vielen Arten, wo es vor allem um Körperkraft geht, die ja ein unabdingbares Plus in männlichen Rangkämpfen darstellt. Bei den streitbaren Walrössern beträgt der Unterschied im Gewicht zwischen den Geschlechtern gut und gern 100% (9).
Wieviel Haushuhn, wieviel Schimpanse steckt also noch in uns? Es wird sich zeigen, dass Rang und Status nach wie vor eine zentrale Rolle spielen. Vorher allerdings nehmen wir Theorien unter die Lupe, die vom Gegenteil ausgehen.
Auf den US-amerikanischen Anthropologen Christopher Boehm bin ich im Beitrag „Vive l’evolution!“ bereits ausführlicher eingegangen (hier).
Bei seinen Untersuchungen zeitgenössischer Jäger-und-Sammler-Völker stieß er immer wieder auf ausgeprägte Gleichheit und Kooperationswillen. Die Jagdbeute wird regelmäßig gerecht auf alle Familien verteilt, was ohne viel Streit und Geschrei vonstattengeht. Anmaßendes Alphatiergehabe hat hier keinen Platz. Im Gegenteil. Wie es im Blog heißt: „Tatsächlich konnte Boehm eine ganze Reihe von Beispielen finden, bei denen sich Gruppenmitglieder zusammenschlossen, um jemanden aus ihrer Horde vom Leben zum Tode zu befördern. Dabei handelte es sich nicht nur um Individuen, die unkontrolliert aggressiv und gefährlich waren. Sondern auch um extrem egozentrische und herrische, also um solche, die schlicht zu Alpha waren. Womit sich die Gruppe ziemlich effektiv gegen die Machtansprüche einzelner wehrt. Antihierarchisches Verhalten nennt Boehm das Ganze.“
Nimmt man diese Jäger-Sammler-Kulturen als Modell fürs Leben in der Vorzeit, kann das im Grunde nur eins bedeuten: Die menschliche Evolution ging in Richtung mehr Gleichheit und Kooperation und weg von Dominanzhierarchien (wobei die gemeinsame Jagd als treibende Kraft gedient haben dürfte).
Marvin Harris, ebenfalls US-amerikanischer Anthropologe, darüber hinaus ein äußerst prominenter, stößt ins selbe Horn – und das nicht eben zurückhaltend. „Von einem angeborenen Zwang des Menschen, Rangordnungen auszubilden, möchte ich also nichts mehr hören“ (10). Wenn das nicht felsenfest überzeugt klingt – nach meinem Geschmack allerdings auch ein wenig trotzig und infantil.
Das „also“ bezieht sich unter anderem auf Beobachtungen an den San, umgangssprachlich auch Buschmänner genannt. Die leben bis heute als Jäger und Sammler in der südafrikanischen Kalahariwüste und sind ethnologisch so gut erforscht, dass sie quasi als Standardmodell für die Lebensverhältnisse in der Altsteinzeit gelten.
Bei ihnen konnte nicht nur das bekannte, geradezu urkommunistische Teilen der Jagdbeute beobachtet werden. Berichtet wird auch, dass in dieser Kultur die starke Neigung besteht, Geschenke oder die Beute besonders erfolgreicher Jäger systematisch kleinzureden – mit der Absicht, irgendwelchem Dünkel, der Überzeugung, man sei etwas Besseres, von vornherein den Garaus zu machen. Kein gedeihliches Umfeld für Alphatiere, könnte man meinen. Ist das nicht der schlagende Beweis, dass im Verlaufe der menschlichen Evolution dem (nicht so) guten, alten Alphamännchen endgültig der Hahn abgedreht wurde?
Doch ist das vermutlich zu schnell geschossen. Zu klären wäre unter anderem, wie gut die San als Modell wirklich taugen.
Zum Fischtran drängt, am Fischtran hängt doch alles
Vor der Entwicklung des Ackerbaus lebten die Menschen von dem, was die Natur freiwillig hergab: vom Sammeln pflanzlicher Nahrung und von der Jagd. Allerdings bietet sich diese Wirtschaftsform bemerkenswert viel-gestaltig dar.
Die San siedeln in einem der kärgsten Landstriche der Welt und haben als Kultur wohl nur deshalb überlebt, weil sich bei den benachbarten schwarzen und weißen Afrikanern bisher kaum wirtschaftliches Interesse an dieser Einöde regte.
Im Kontrast dazu gibt es Jäger und Sammler, die geradezu in einer Überflussgesellschaft leben und bei denen – soweit sei vorgegriffen – Bescheidenheit nicht unbedingt als Zier gilt.
Dazu lenken wir den Blick auf die Indianervölker am westlichen Rand der USA und Kanadas – auf die nördliche Pazifikküste also. Die dortigen Stämme bilden das, was in der Völkerkunde Kulturareal genannt wird – ein geographisches Gebiet, in dem die verschiedenen Völker ausgeprägte kulturelle Gemeinsamkeiten aufweisen.
Hier stellen die Wälder im Hinterland ein großzügig sprudelndes Reservoir für Pflanzennahrung und Jagdwild dar. Entscheidend ist aber der Beitrag der Lachsfischerei, die besonders im Herbst eine wichtige Rolle spielt – gerade dann, wenn die übrigen Nahrungsquellen saisonal zu versiegen beginnen. Besonders vorteilhaft dabei, dass sich Fisch dörren und räuchern oder zu haltbarem Fischtran verarbeiten lassen kann, der ein begehrtes Handelsgut abgab.
Ökologisch derart begünstigt, waren die Pazifikindianer nicht zum Wandern gezwungen, sondern lebten oft in ganzjährigen Siedlungen, die aus teilweise imposanten Holzhäusern bestanden. Sehr bekannt auch die mehrere Meter hohen Totempfähle.

Diese Gesellschaften erreichten eine bemerkenswerte Komplexität. Privater Besitz, besonders an Fischplätzen, war allgemein verbreitet. Wer große Fischzüge organisierte, konnte auch viel Nahrung speichern oder zu Fischöl verarbeiten, mit dem sich lukrativ handeln ließ. Bei den Tlingit in Alaska und Kanada bildete sich sogar eine echte Oberschicht, die sich Sklaven hielt und gar nicht mehr selber arbeiten musste (11). Jäger und Sammler wohlgemerkt.
Berühmt-berüchtigt war das potlatch. Das ist die Bezeichnung für eine spezielle Art von Festen, die von Häuptlingen und reichen Familien ausgerichtet wurden und sich zu wahren Umverteilungsorgien steigern konnten. Dabei wurde das gemeine Volk mit allerlei Geschenken bedacht, womit die Oberschicht ihren Reichtum und ihr gutes Herz demonstrieren konnte.
Bei den Kwakiutl, einem anderen Volk des Nordwestens, begleitete ein Häuptling seine Wohltaten mit dieser bescheidenen Ansprache (10):
„Ich bin der große Häuptling, der die Leute beschämt…
Ich lasse die Gesichter vor Neid erblassen, Dass was ich ständig in
der Welt vollbringe, veranlasst die Leute, sich vor Scham zu
verstecken.
Ich, der wieder und wieder Fischtranfeste für alle Stämme veranstaltet…“
na, und so weiter bis zum Luftholen.
Privatbesitz, Konkurrenz zu anderen, Ausbeutung, Prahlerei und Hunger nach Prestige: Sieht so wirklich das Ende des Alphatiers aus?
Und somit lässt sich fragen: Wer stellt das passendere Modell für die Altsteinzeit dar? Die Buschleute oder die Pazifikindianer? Nahelegen würde die Logik ja folgenden Gedanken: Als sich der biologisch moderne Mensch – sagen wir vor hunderttausend Jahren – auszubreiten begann, war der Planet noch weitgehend menschenleer. Welchen Regionen sollten die Neuankömmlinge den Vorzug geben? Den von der Natur begünstigten oder der Wüste?
Wohl ersteres. Tatsächlich lassen sich überall auf der Welt in Form von Muschelhaufen archäologische Nachweise dafür finden, dass sich der vorgeschichtliche Mensch auch die Küsten nutzbar machte. Die meisten Funde stammen aus der Zeit kurz vor Einführung des Ackerbaus, andere reichen zurück in eine tiefe Vergangenheit, als es den biologisch modernen Menschen noch gar nicht gab.
Nun lässt sich bei diesen Bevölkerungen anhand der kulturellen Überreste oft keine gesellschaftliche Schichtung feststellen (11), andererseits gibt es Fälle, in denen sich privater Besitz – das gewichtige Gegenmodell zum Urkommunismus der Buschleute – auch noch mit den Mitteln der Archäologie nachweisen lässt.
In der Indianerkultur vom Keatley Creek an der kanadischen Nordwest-küste lebten die Menschen 2400 bis 1100 Jahre vor der Gegenwart in Rundhäusern, die in verschiedenen Größen ausfielen. Im Abfall der großen Hütten fanden sich über Generationen hinweg die Überreste der größten und begehrtesten Lachsarten. Daraus ließ sich der Schluss ziehen: Diese Familien waren in mehr als einer Hinsicht privilegiert und im Besitz besonders ergiebiger Fischgründe, an denen sich die bevorzugte Lachssorte fangen ließ (12).
Festhalten lässt sich zumindest dies: Der Mensch der Vorzeit lebte sicherlich nicht ausschließlich wie die heutigen Buschmänner, sondern in sehr unterschiedlichen Zusammenhängen. Und wohl gar nicht so selten in solchen, in denen deutliche Ungleichheit herrschte: Das perfekte Umfeld für Individuen, die zu Dominanz und Selbstdarstellung neigten.
Systematisch an diese Frage heran gingen die Anthropologen Eric Alden Smith und Kollegen (13). Sie untersuchten eine Reihe heutiger Jäger-und-Sammler-Kulturen nach individuellen Unterschieden in Gesundheit, Leistungsfähigkeit, privatem Besitz und Zugehörigkeit zu landbesitzenden Sippenverbänden – also in dem, was in diesen Gesellschaften das persönliche „Kapital“ ausmacht. Anschließend gingen die Forscher an die statistische Analyse.
In der Statistik gibt es den sogenannten Gini-Koeffizienten. Das ist ein Zahlenwert, der das Ausmaß von Ungleichverteilung misst. Auch wenn er sich auf eine Vielzahl von Fragestellungen anwenden lässt, ist er am bekanntesten als Maß für Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen. Diese Zahl kann Werte zwischen 0 und 1 annehmen. 0 würde etwa bedeuten: Alle haben dasselbe Einkommen (oder Vermögen). Ein Wert von 1 entspräche dem unrealistischen Fall: Einer hat alles, der Rest hat nichts.
Eine sozial relativ ausgeglichene Nation wie Dänemark erreicht einen Wert von 0,25, die ausgeprägt kapitalistische Gesellschaft der USA einen von 0,41 und ein typisches Entwicklungsland mit breiter armer Bevölkerung und hauchdünner, superreicher Elite einen von 0,66.
Die von Smith untersuchten Daten von Jägern und Sammlern offenbarten im Durchschnitt ein Ausmaß der Ungleichheit, das sehr genau dem von Dänemark entspricht. Ohne Frage: In dieser skandinavischen Nation sind die sozialen Unterschiede im Vergleich zu anderen Ländern stark eingeebnet – aber wer würde behaupten, dass es sich bei der Heimat von Maersk, Carlsberg und Ecco um eine urkommunistische Gesellschaft handle?
Christopher von Rueden, ein weiterer US-amerikanischer Anthropologe, variierte diesen Ansatz ein wenig (14). In 33 nichtindustriellen Kulturen untersuchte er den Zusammenhang zwischen sozialem Status und Fortpflanzungserfolg. Beide Dinge gingen bei weitem nicht so eng Hand in Hand wie bei unseren Affenvorfahren. Trotzdem war dieser Zusammen-hang immer noch messbar – wobei er bei Jägern und Sammlern durchaus nicht geringer ausfiel als bei Gartenbauern oder Hirten.
Alles in allem deutet sich an, dass Dominanz während der menschlichen Evolution stark abgebaut wurde – aber verschwunden ist sie mit Sicherheit nicht. Zu glühenden Anhängern der Gleichheit wurden wir nicht umgemodelt.
Besonders schwer wiegt ein Fakt, der von Anthropologen eher zögerlich anerkannt wird, aber dennoch geeignet ist, das idyllische Bild der Altsteinzeit auf den Kopf zu stellen. Einen Fakt, der uns bedenklich nah an unsere tierischen Vorfahren heranrückt. Die Rede ist von Gewalt.
Eine lange Geschichte der Gewalt
In den letzten Jahrzehnten haben Ethnologen und Archäologen den Versuch unternommen, das Ausmaß tödlicher Gewalt in einfachen und vorgeschichtlichen Gesellschaften zahlenmäßig genauer zu bestimmen. Im Falle archäologischer Kulturen galten dabei als Indiz nicht verheilte schwere Verletzungsspuren am Skelett, die von Waffen herrührten. Die Ergebnisse jedenfalls waren ernüchternd bis niederschmetternd – war man in der Völkerkunde doch traditionell von einer besonderen Friedfertigkeit einfacher Gesellschaften ausgegangen. Woher stammt diese Diskrepanz?
Zur Erklärung ein kurzes Beispiel: Anthropologen schildern die San einhellig als freundliche, angenehm entspannte und mitteilsame Zeitgenossen. Nur ganz gelegentlich wird der idyllische Friede durch ernsthaften Streit gestört. Nehmen wir einmal an, die Forscher finden heraus, dass ungefähr zehn Jahre vorher einmal ein Mann im Streit von einen anderen mit Pfeil und Bogen getötet wurde. Nobody is perfect, könnte man denken und mit einem Achselzucken darüber hinweggehen. Hier vernebelt aber wohl unsere mangelnde Intuition für große Zahlen den Geist. Denn für den, der nachrechnet, ergibt sich ein ganz anderes Bild. So eine lokale Buschmannhorde besteht aus ca. zwanzig Personen. Ein Gewaltopfer alle zehn Jahre heißt im Umkehrschluss: Bestünde die Gruppe aus 200 Leuten, entspräche das einem Toten pro Jahr. Bei zweitausend Köpfen dann natürlich zehn. Immer noch fast perfekte Harmonie?
Tatsächlich können die San für sich in Anspruch nehmen, im Vergleich mit anderen vorstaatlichen Völkern so ziemlich die friedfertigsten zu sein (15). Und trotzdem liegt bei ihnen die Rate gewaltsamer Todesfälle (Mord, Totschlag) fast vierzigmal höher als bei uns in Deutschland!
Das Ganze erscheint erklärungsbedürftig. Wenn es in der menschlichen Evolution diesen klaren Trend in Richtung weniger Dominanz und mehr Kooperation und Altruismus gab – warum liegen die ethnologischen Tötungsraten immer noch ungefähr auf dem Niveau von Menschenaffen? Ich gebe zu, dass ich darauf keine erschöpfende Antwort habe. Aber meine Vermutung ist, dass es mit Waffen zu tun hat. Mit Steinäxten, Speeren oder Pfeil und Bogen ist es sehr viel leichter, jemanden ins Jenseits zu befördern als mit bloßen Händen. Wo in tierischer Vergangenheit ein herzhafter Biss den Streit beendete, war es beim Menschen oft genug erst der Pfeil in der Brust (16).
Douglas Fry, ebenfalls US-Anthropologe, hat anhand seiner umfangreichen Datensammlung zu Jäger-und-Sammler-Kulturen die Auslöser für diese Gewaltakte zu bestimmen versucht. Sein Befund: Regelrechte Kriege sind unter diesen Gruppen eher selten, das Gros der Tötungen geht auf individuelle Konflikte zurück. Dabei weisen ungefähr 12 Prozent der Fälle Vergeltung und Blutrache als Motiv auf. Bei fast zehn Prozent handelte es sich um sexuelle Konkurrenz zwischen Männern (überhaupt gingen Tötungen zu 96% von Männern aus) (17).
Diese Resultate sind bemerkenswert. In der Zoologie ist Dominanz eng gekoppelt an erhöhtem Fortpflanzungserfolg. Das ist der Grund, warum um Spitzenpositionen so verbissen gekämpft wird. Wenn auch beim Menschen sexuelle Rivalität ein derart wichtiges Motiv für tödliche Gewalt darstellt, dann hat sich daran während seiner Evolution nicht so wahnsinnig viel geändert.
Eingangs wurde festgestellt, dass sich hinter Dominanz letzten Endes der Drang verbirgt, sich zu holen, was zu holen ist. Ein Egoismus, der dem eigenen Vorteil sehr entgegenkommt. Damit dürfte es sich um ein evolutionäres Motiv von erheblicher Durchschlagskraft handeln, das nicht so leicht auszurotten ist. Wie wir gesehen haben, ist dieser Drang in der menschlichen Evolution zugunsten verstärkter Kooperation in beachtlichem Umfang zurückgedrängt worden. Verschwunden ist er nicht. Welche Spuren hat er in unserer Psyche hinterlassen? Das wird Thema des zweiten Teils sein.
- Maynard-Smith, John (1998): Die Evolution des Verhaltens. In: Spektrum der Wissenschaft. Digest 1/1998. Kooperation und Konkurrenz. S. 7-17.
- Buss, David M. (2004): Evolutionäre Psychologie. München.
- Eibl-Eibesfeldt, Irenäus (2004): Grundriss der vergleichenden Verhaltensforschung. Vierkirchen-Pasenbach.
- Kappeler, Peter (2017): Verhaltensbiologie. Berlin, Heidelberg.
- Watson, Lyall (1996): Dark Nature. A Natural History of Evil. London.
- Paul, Andreas (1998): Von Affen und Menschen: Verhaltensbiologie der Primaten. Darmstadt.
- Von Holst, D. (1972): Renal failure as the cause of death inTupaia belangeri exposed to persistent social stress. In: Journal of comparative physiology. September 1972, Volume 78, Issue 3, S. 236–273.
- Johanson, D. und Edey, M. (1984): Lucy. Die Anfänge der Menschheit. München.
- https://de.wikipedia.org/wiki/Walross
- Harris, Marvin (1991): Menschen. Wie wir wurden, was wir sind. Stuttgart.
- Mendonsa, Eugene (2016): Greed Unbound. Volume 1. Official Misdeeds in Political Economies of Kin Groups and Chiefdoms. Lulu Publishing Services.
- Shennan, Stephen (2002): Genes, Memes and Human History: Darwinian Archaeology And Cultural Evolution. London.
- Smith, Eric Alden et. al. (2010): Wealth Transmission and Inequality among Hunter-Gatherers. In: Current Anthropology Volume 51, Number 1, February 2010. S. 19-34.
- Von Rueden, Christopher u. Jaeggi, Adrian V. (2016): Men’s status and reproductive success in 33 nonindustrial societies: Effects of subsistence, marriage system, and reproductive strategy. In: Proc Natl Acad Sci USA. 2016 Sep 27;113(39): S. 10824-9.
- Ein großer Satz von Daten ist hier zu finden: https://ourworldindata.org/ethnographic-and-archaeological-evidence-on-violent-deaths
- Zumindest aus den USA sind mir Studien bekannt, die diesen Gedanken stützen. Werden Bevölkerungsstruktur, Armuts- und Kriminalitätsraten der verschiedenen Bundesstaaten konstant gehalten, ergibt sich ein sehr enger Zusammenhang zwischen der Verbreitung von Schusswaffen und der Häufigkeit gewaltsamer Todesfälle: https://www.vox.com/policy-and-politics/2015/12/8/9870240/gun-ownership-deaths-homicides
- Fry, Douglas P. (2006): The Human Potential for Peace. New York, Oxford.